Silvester in Waltons Mountain - Die Geschichte einer Freundschaft



01 - Vorwort

Ich habe meine Kindheit und Jugendzeit zusammen mit meinen zahlreichen Geschwistern verbracht. Somit war ich nie alleine. Für alle war ich immer nur der große Bruder. Einen richtigen Freund hatte ich in dieser Zeit nie. Mir fiel es auch nicht einmal auf, da ich meistens zu viel Arbeit und viel zu wenig Freizeit hatte. Doch dies sollte sich in diesem Sommer ändern.


02 - Freundschaft

Es war im späten Frühling, meine Arbeit zu Hause in Waltons Mountain war getan. Heute Abend wollte ich kein Buch lesen, auch keine Geschichte schreiben, heute Abend wollte ich eine Geschichte in Bildern erleben und so fuhr ich mit meinem Wagen allein nach Charlottesville ins Lichtspielhaus. Es war schon dunkel und vor dem Eingang warteten schon einige Besucher. Ich gesellte mich zu ihnen. Dabei fiel mir ein leicht zerzauster junger Mann mit Brille auf. Er hielt einen Text in der Hand, den er las. Dass diese Person mein Leben einmal verändern würde, konnte ich zu diesem Zeitpunkt keineswegs ahnen.
Einige Wochen später sah ich diesen Mann vor dem Kino wieder. Er las wieder einen Text. Diesmal sprach ich ihn an. Neugierig fragte ich ihn: "Was liest Du da?" Seine Augen blickten mich an: "Eine Fantasy-Geschichte." Sekunden später korrigierte er sich: "Meine Fantasy-Geschichte. Es soll mal ein Buch, bestehend aus vielen Geschichten, werden." Ich fragte: "Darf ich mal hinein schauen?" Er gab mir die Einleitung zu lesen. Ich las weiter einen flüssig geschriebenen Text, der mich etwas faszinierte. Besonders schön fand ich es, dass der Autor der Geschichte vor mir stand. "Ich schreibe auch fast jeden Abend, wenn unsere Familie schon schläft." Die Eingangstüren des Kinos wurden jetzt geöffnet. Daniel sagte interessiert: "Lass uns hinein gehen und uns dort weiter unterhalten." Wir bezahlten unseren Eintritt und setzten uns zusammen. So kamen wir ins Gespräch von Schriftsteller zu Schriftsteller, oder die es noch werden wollten. Auch lernten wir uns schon ein wenig kennen. Daniel Wulf, so hieß der junge Mann, wohnte in einem Dorf nahe des Wal Nut Creek Parks, welcher fast auf meiner Strecke nach Hause lag. Seine Eltern hatten eine kleine Farm am Dorfrand. Dort wohnte er seit seiner Geburt. Das Licht im Kinosaal ging aus und unsere vielen Fragen mussten erstmal warten. Nach dem Film, ich hatte den Inhalt schon fast vergessen, machten wir noch einen Spaziergang. Dabei erzählte ich ihm von meinem Wohnort, meinen Eltern und meinen vielen Geschwistern. Wir lebten beide auf dem Lande.
Gemeinsam gingen wir zu seinem Auto. Als ich es sah, dachte ich nur, wenn sein Auto ein Pferd wäre, hätte jeder Tierarzt es sofort mitleidvoll erschossen. Aber naja, es ist sein erstes Auto und wie ich es noch nicht ahnen konnte, es wird auch sein Letztes sein.
Wir verabredeten uns für den übernächsten Samstag zur Abendvorstellung. Jeder wollte eine Geschichte mitbringen. Natürlich überlegte ich während der ganzen Heimfahrt, welche Geschichte ich ihm geben könnte. Nach einer freundlichen Verabschiedung trennten wir uns. Dann fuhr er los, direkt in die Nacht. Auch ich fuhr 10 Meilen in seine Richtung, aber seine Rücklichter sah ich bald nicht mehr. Ich fuhr weiter nach Hause und fiel schließlich müde ins Bett. Den Schlaf noch in den Augen erzählte ich am folgenden Morgen der Familie am Frühstückstisch von meinen Erlebnissen. Ich merkte gar nicht, dass es ganz still am Tisch wurde. Alle hörten gespannt zu. Die Geschichte faszinierte sogar meinen Vater.


03 - Gemeinsamkeiten

Die zwei Wochen vergingen schnell. Heute Abend trafen wir uns wieder vor dem Filmtheater. Beide kamen wir aus Neugier schon etwas früher. Wir begrüßten uns und tauschten unsere mitgebrachten Geschichten aus. Lesen und auswerten wollten wir die Geschichten jeweils zu Hause. Nun erzählten wir über unsere Anfänge des Schreibens und suchten nach weiteren Gemeinsamkeiten: Daniel wanderte sehr gerne mit seiner Schwester Cathrin und er erzählte, wie er das Tischlereihandwerk erlernte. Ich sprach von meinen geschriebenen Geschichten, unserer Familie, der Sägemühle, von unserem Gemischtwarenladen und wegen Daniels Naturverbundenheit erzählte ich ihm von Granny Ketchum, der Kräuterfrau am Rande unseres Ortes, die vor einiger Zeit von uns gegangen war.
An einem Nachmittag half ich in der Sägemühle mit und abends schrieb ich an meiner Geschichte weiter, als ich plötzlich an Daniels Kurzgeschichten dachte: Ich holte die Blätter heraus und begann zu lesen. So verschwand ich über eine Stunde lang in seiner Geschichtenwelt und wachte ungern wieder auf. Er schrieb zwar etwas jugendlich, aber ich merkte sehr schnell, dass es bestimmt meistens seine eigenen Erlebnisse waren. Das einzige, was mich störte, waren Maschinengewehre in einer seiner Geschichten. Gedanken schwirrten durch meinen Kopf, die mich bis ins Bett begleiteten.


04 - Der Besuch

Heute war es soweit. Nach meiner erledigten Hausarbeit stieg ich ins Auto und fuhr in Richtung Walnut Creek. Ich folgte Daniels Einladung ganz aufgeregt. Die Gegend schien hier noch verlassener als bei uns. Nicht einmal Reifenspuren verirrten sich hierher. Trotzdem hörte man in der Ferne leise den Verkehr von der Hauptstraße. Nach einer Weile fand ich auch den von Daniel gut beschriebenen gelbfarbenen Bauernhof. Als Erstes bemerkte mich ihr Hund, der gleich auf mich zu rannte. Etwas verängstigt blieb ich zunächst im Auto sitzen. Aber schnell merkte ich, dass dieser Wachhund namens Willy viel zu verspielt war, um seine eigentliche Aufgabe zu erledigen. So stieg ich aus und ging mit dem Hund zum Haus. Als ich klingeln wollte, öffnete sich schon die Türe. Eine kleine liebenswerte Frau namens Caroline begrüßte mich und ließ mich ein. Mit Daniels Mutter freundete ich mich gleich an. Von ihr erfuhr ich, dass er fast die Nacht hindurch an seinen Geschichten gesessen hatte, deshalb schlief er noch. Nun lernte ich auch noch seine Schwester Cathrin und seinen Vater Simon kennen. Nach einer Weile war meine Aufregung verflogen und ich fühlte mich schon fast wie zu Hause. Danach zeigte mir Daniels Mutter das gesamte Grundstück. Sie hatten noch Ziegen, Hühner, Enten, Kaninchen und auch Katzen.
Zur Mittagszeit betraten wir die Küche, wo der Tisch schon reichlich gedeckt war. Als wir uns setzten, kam endlich Daniel total verschlafen hinzu: "So, jetzt siehst du meine Familie auch einmal." Ich unterbrach ihn: "Eine ganz nette Familie sehe ich." Alle lachten. Wir aßen mitten in der Woche ein festliches Mahl und es schmeckte ganz fabelhaft. "Und dies ist mein Zimmer" sagte er und wir gingen hinein. Alle Zimmerwände waren mit getrockneten Blättern bedeckt. Kaum war noch etwas Tapete zu sehen. Ich staunte nicht schlecht. Daniel sagte mir: "Dieser Raum hat für mich etwas Beruhigendes." So empfand ich es auch. Als ob ich mich ins Herbstlaub fallen ließ. Auf seinem Tisch lag meine Geschichtensammlung, die ich in die Hand nahm: "Wie findest Du meine Geschichten?" "Schön geschrieben, dadurch kenne ich jetzt Deine ganze Familie und den Ort schon ein wenig. Man bekommt Interesse weitere Geschichten lesen zu wollen." Ich freute mich sehr. Nun fragte mich Daniel: "Erzähl mir mal mehr von der Kräuterfrau?" So fing ich an: "Sie war für uns wie eine kleine Krankenschwester, obwohl sie es nie gelernt hatte. Ihr Vater war Arzt. Für jedes Wehwehchen hatte sie eine Kräuter-Mixtur parat. Wir vermissen sie sehr."
Danach machten wir einen Spaziergang, bei dem uns Hund Willy begleitete. Zum Abendbrot saß ich wieder mit der ganzen Familie zusammen. Die Zeit des Abschieds kam und ich fuhr wieder heimwärts.


05 - Ein neuer Anfang

Wir trafen uns nun regelmäßig alle zwei, manchmal auch drei, Wochen vor dem Kino. Jeder lernte den anderen besser kennen und wir verstanden uns in sehr vielen Dingen. Beim letzten Treff schauten wir gespannt den Film: "In die Wildnis - Allein nach Alaska". Der Film handelte von einem jungen Studenten, der sein Studium erfolgreich beendet hatte. Danach bricht er aus der Gesellschaft aus und beginnt eine Tour durch die USA nach Alaska, in der er schließlich umkommt. Auf dem Parkplatz draußen werteten wir den Film aus. Ich selbst erzählte ihm, dass ich sehr schockiert über den Film war. Daniel hingegen fand ihn absolut toll und realistisch. Er würde am liebsten selbst solch eine Geschichte schreiben. Klar, so können Jugendliche wie wir träumen. "Ach so Geschichte! - Hier ist noch ein dicker Briefumschlag mit dem wertvollsten Inhalt, den ich habe. Ich vertraue Dir meine Geschichtensammlung als fast fertiges Buch zum Lesen an".
Aber nun verabschiedete er sich mit einer etwas ernsteren Mine: "Wir sehen uns wieder, ich weiß ja jetzt, wo du wohnst. Auch kann ich in der nächsten Zeit nicht mehr ins Kino kommen, da ich weniger Zeit haben werde. Mehr möchte ich nicht verraten. Lass Dich überraschen, ich bin mir sicher, mein Vorhaben wir Dir gefallen." So verabschiedete ich mich auch und jeder fuhr nach Hause. Schnell holte mich der Alltag wieder ein.
Auch zu Hause erzählte ich meiner Familie von Daniels Verabschiedung. Jim-Bob fragte mich: "Wirst Du ihn wieder treffen?" Ich antwortete: "Ich weiß nicht, er hat mir keine Adresse hinterlassen. Aber er sagte mir, dass er sich melden werde und ich habe ja auch noch sein Buch. Das Wertvollste was er hat". Jetzt bin ich mir sicher, wir werden ihn wieder sehen.
Nach mehreren Wochen fuhr ich wieder zum Kino, aber kein bekanntes Gesicht war zu sehen. Auch später hörte ich nichts mehr von ihm. Daniel sagte ja, dass er viel zu tun hätte.
Eines Tages besuchte ich Ike Godsey um einen neuen Schreibblock und einen Radiergummi zu kaufen. Als ich den Laden betrat, war der gewohnte Duft nicht mehr da. Es roch auf einmal nach bekannten und unbekannten Kräutern.


06 - Das gläserne Eisengestell

Einmal im Monat kam auch unser Trödelhändler Vernon Rotley wieder an unserem Haus vorbei. Das klimpernde Gerassel von Töpfen, Pfannen und allerhand Blechzeug hörte man schon immer aus weiter Ferne. Meist verdienten sich die Kinder etwas Kleingeld, indem Sie ihm altes Zeug zum Kauf anboten. Diesmal kam Jim Bob sofort an und schaute sich um, denn jedes Mal sah Vernons Pferdewagen anders aus. Hinten sah er diesmal ein bunt bemaltes Eisengestell, das ihn sofort faszinierte. Vernon stieg aus und schaute in seine Richtung. "Das ist ein altes Aquarium, das habe ich von einem kleinen Zoo bekommen. Das stand dort nur noch herum". Jim Boy schaute Vernon interessiert an: "Was kostet es?" "Einen halben Dollar, weil es undicht ist". Wie von Blitz getroffen war Jim Bob verschwunden. Als er wieder kam, brachte er sein Sparschwein mit. Als Vernon es schüttelte, hörte man nur noch einige wenige Münzen darin klingen. Es waren nur 11 Cent. "Kann ich es abzahlen?" "Hast wohl zu viel Lakritze bei Ike Godsey gekauft. Naja, Du wohnst ja bestimmt noch eine Weile hier und läufst mir ja bestimmt nicht weg. Oder willst Du demnächst ausreißen? Aber jedes Mal wenn ich komme, will ich eine Rate haben!" Freudestrahlend sagte er: "Geht klar". Und so luden sie es vom Wagen. Nun holperte und polterte Vernons Wagen wieder von dannen. Jetzt kam Elizabeth hinzu und machte große Augen. "Was willst Du denn damit?" "Da kommt Wasser rein und Tiere will ich schwimmen sehen". "Ja, das finde ich schön." Nun kamen Großvater und Vater aus dem Haus. "Helft ihr mir bitte, es hoch zu tragen?" Vater sagte: "Du hättest uns aber erst mal fragen sollen?" Jim Bob schwieg und schaute seinen Vater mit großen Augen bettelnd an. Vater sah hinein und sagte: "Aber erst, wenn es zuvor draußen getestet wird, ob man es noch gebrauchen kann." Großvater sagte: "Stellt es da drüben hin, ich hole den Wasserschlauch." Als sich das Aquarium füllte, schauten die Kinder begeistert hinein, weil sich das Wasser in der Sonne so schön spiegelte. Als es voll war, schien alles in Ordnung, aber nun fing es doch an einer Stelle an zu tropfen. Großvater sagte: "Tja, das habe ich kommen sehen, die eine Scheibe ist undicht. Aber mit meiner Hilfe bekommen wir das schon hin".
Am nächsten Tag bekam Jim Bob Geld vom Großvater um bei Ike Godsey Fensterkitt zu kaufen. Als er zurück war, fehlte im Aquarium schon die undichte Scheibe. Auch den alten Kitt entfernte Sam schon erfolgreich. Auf Großvaters Anleitung hin formte Jim Bob nun aus dem Kitt lauter dicke Würmer, die er gleichmäßig im Rahmen verklebte. Nun drückte Sam die Scheibe hinein. Nach tagelanger bestandener Wasserprobe stand nun das Aquarium im Jungenzimmer.


07 - Die Überraschung

An einem Samstag wollte ich nach längerer Zeit mal wieder ins Kino fahren, als plötzlich und unerwartet ein Wagen vor dem Hause hielt. Die Familie war sehr neugierig, wer da wohl kam. Alle gingen hinaus und schauten den Gast an. "Guten Tag, bin ich hier richtig bei den Waltons?" fragte er? "Ich heiße Daniel und suche John-Boy Walton." Ben sprach als Erstes: "Ja, Du bist richtig hier - Meine große Schwester Mary Ellen ist schon im Haus und holt unseren Bruder für Dich." Ich las in meinem Zimmer gerade ein spannendes Buch, als Mary Ellen hinein stürzte und mir erzählte: "John-Boy. Besuch für Dich!". Mary Ellen hatte mich angeschaut, als habe sie Daniel gern. Ich schaute aus dem Fenster. Daniels erschossenes Pferd, naja Auto, erkannte ich sofort. So ging ich herunter und begrüßte ihn. "Was läuft heute im Kino für ein Film? Er sagte: "Weiß ich nicht. Ich möchte dich heute einladen. Hast Du Lust?" "Klar sagte ich. Ich sage nur noch meine Eltern Bescheid." Mir fiel noch etwas ein und so flitzte ich noch einmal hoch in mein Zimmer. Danach stieg ich in sein Auto und wir fuhren los. Wenige Sekunden später gab es aus dem Auspuff einen Knall. Ich hörte nur noch im Hintergrund Jim Bob reden: "Das Auto werden wir bestimmt jetzt öfters sehen. Das braucht bestimmt mal eine Reparatur."
So saß ich nun neben Daniel. Ich erzählte ihm, was ich die letzten Tage so erlebt hatte. Er selbst erzählte nichts von sich. Als das Auto nicht in Richtung Charlottesville abbog, sagte ich ihm: "Du hast die Ausfahrt verpasst!"
Daniel: "Nein habe ich nicht. Wir fahren heute nicht weit." Ich dachte mir: Naja er wollte mich einladen. Vom Kino redete er gar nicht. Da ich noch wusste, dass er bei den Eltern wohnt, ließ ich mich überraschen. Es ging in die Berge, hoch zu einem alten Holzhaus, das ich noch sehr gut kannte. Letztens, als ich hier war, war alles zugewachsen. Es sieht zwar immer noch so aus, aber man merkte, dass hier jetzt jemand wohnte. Wir stiegen aus. "Herzlich willkommen in meinem Naturgarten" sagte Daniel.
Ich war merklich überrascht, aber auch erfreut, dass das alte Haus von Granny Ketchum nach einem Jahr wieder bewohnt war. Die gute Frau schenkte mir damals ihr Muli, das ich "Blue" nannte.
Daniel sagte: "Dies ist mein Kräutergarten. Ich habe überall noch wildwachsende Kräuter gefunden, die hier normalerweise nicht wachsen." Ich antwortete "Vielleicht sind es noch Nachkömmlinge von Granny Ketchum. Sie baute im ganzen Garten sehr viele Kräuter an": "Klar" sagte Daniel.
Als ich weiter hinüber schaute, sah ich ein großes Möhrenfeld, sowie Erbsen, Kartoffeln und Pflanzensträucher, die ich nicht kannte. "Wow, Du musst schon länger hier wohnen?" Ja sagte Daniel: "Einen Monat, nachdem wir uns zuletzt gesehen haben, zog ich hier ein. Ike Godsey verpachtete mir das Haus, aber er durfte niemandem etwas sagen." Tja, das hätte mir auffallen sollen, als es im Laden nach frischen Kräutern roch. Neben dem Pflanzenfeld stand ein Zelt. Es sah aus, als ob dort noch jemand wohnte.
Nun betraten wir das Haus, das sich von außen nicht verändert hatte. Auch hier sah man überall Pflanzen, die ich meist gar nicht kannte. In der einen Ecke gab es eine Kochnische. Im Zimmer erblickte ich einen selbst gebauten Tisch und einen eigentümlich gebauten Stuhl. Der Tisch war zugestellt mit selbst geschriebenen Manuskripten und einem etwas merkwürdig aussehenden Buchhalter. An der Wand sah ich ein Regal mit Büchern.
Alles roch nach frischen Kräutern und nach Holz. "Hast Du Dir das alles selbst gebaut?" Daniel: "Als ich das Haus bezog, war hier alles leer. Da musste ich mir etwas einfallen lassen. Geld für teure Möbel habe ich nicht.
Ich setzte mich in seinen eigenartig gebastelten Stuhl. Er quietschte etwas und sah ganz schön komisch aus, aber er war doch bequem. Daniel nahm sich einen Hocker und setzte sich zu mir. "Dies ist mein Reich, hier kann ich machen, was ich will." Auf der anderen Seite stand ein Bett, in dem nicht einmal eine Decke lag. Ich fragte: "Und wo schläfst Du?" Daniel: "Meist draußen im Zelt. Wenn es richtig kalt wird, werde ich auch einmal das Bett benutzen oder hier im Schlafsack pennen." Eine Minute verging und ich schaute ihn an: "Warum bist Du hierher gezogen? - Du hattest doch bestimmt ein schönes zu Hause?"
Daniel: "Ja schon, aber langsam möchte ich mir mein eigenes Heim aufbauen und mein eigener Herr sein. Hier fühle ich mich schon wohler und jetzt kann ich endlich in Ruhe meine Geschichten schreiben." Mir fielen seine Geschichten ein. "Klar, Deine Geschichten." Ich holte aus meinem Beutel seine drei ausgeliehenen Geschichten heraus und legte sie auf die letzte freie Stelle des Tisches. "Deine Geschichten. Ich bin mir sicher, sie handeln von Dir und Deinen Erlebnissen." "Ja das stimmt", sagte Daniel. Ich sagte "Besonders gefiel mir die Geschichte, in der ein Mädchen Dir den Kopf verdrehte." Daniel: "Ja es ist wahr, auch dies sind meine Erlebnisse. Leider waren sie schrecklich. Das Mädchen hat mich gemocht, bis mir das Geld ausging. Jetzt will ich etwas Anderes erleben." Ich wurde neugierig. "Und was?" Daniel: "Ich will hier die Gegend erkunden. Wenn du willst, kannst Du gern auch mal mit kommen." Ich antwortete: "Gern, wenn mal an einem Wochenende nicht viel zu tun ist. - Und wie willst Du die Pacht bezahlen?" Daniel: "Ich habe noch etwas Geld und bis dahin lasse ich mir etwas einfallen."
Es verging der Abend schneller, als ich dachte. So brachte mich Daniel nach wieder nach Hause.
Am nächsten Morgen erzählte ich beim Frühstück der Familie meine Erlebnisse. Man bemerkte, wie neugierig alle zuhörten. Olivia schaute mich an. "Bringe Daniel doch mal zum Essen mit". Auch die Kinder waren alle begeistert und ich sagte ihnen gerne zu.


08 - Der Job

Meine Schularbeiten waren getan, so fragte ich Vater, ob er Arbeit für mich hätte. John: "Arbeit ist immer für Dich da, aber Blue möchte bestimmt auch mal wieder seine alte Heimat sehen. Reit schon los! Aber heute Nachmittag brauche ich Dich!" "Klar!", sagte ich. So nahm ich Blue aus dem Stall und ich flüsterte ihm ins Ohr: "Zu Granny Ketchum! - Zu Deinem alten Zuhause!" Als ob Blue es verstand, trabte er los. Nach einer halben Stunde kamen wir bei Daniel an. Ich stieg vom Maultier ab und es trabte wie damals, gewohnt zu seinem alten Stall.
Ich klopfte am Haus, aber es machte keiner auf. So schaute ich mich weiter um und sah, dass sich etwas im Zelt auf der Wiese bewegte. Ich ging dort hin und sah Daniel im Schlafsack liegen. "Guten Morgen" sagte ich. Ein total verschlafenes "Guten Morgen" kam zu mir zurück. Nach einer Weile machte sich Daniel am Bach frisch. Daniel: "John-Boy, weißt Du, wie spät es ist?" "Es wird so gegen 9 Uhr sein", sagte ich. Daniel sagte: "Dann muss ich jetzt auch gleich zur Arbeit." Wo hast Du hier Arbeit bekommen? "Bei Murdock Holzverarbeitung. Du sagtest ja selbst, dass Dein Vater zur Zeit niemanden bezahlen kann." So lud ich dann Daniel für nächsten Freitag zum Abendbrot ein, bevor sein Auto in Richtung Wald verschwand.


09 - Der Teich im Kinderzimmer

Auch Jim Bob und Elizabeth waren jetzt öfters unterwegs. Sie sammelten Wasserpflanzen und Tiere für ihr Aquarium. Jeden Tag kamen ein paar Tiere hinzu. Im Aquarium sah man jetzt Wasserschnecken, Kaulquappen und so einige Molche. Auch zwei kleine Fische, Stichlinge, schwammen jetzt im Kaltwasseraquarium. Später kamen noch ein paar rote Regenwürmer mit hinzu, die am oberen Wasserrand wie Wäscheleinen herum hingen. Als Olivia die Blutegel sah, bekam Jim Bob von ihr ein Verbot. "Die Blutsauger müssen wieder verschwinden!" Olivia achtete jetzt auf jedes mitgebrachte Glas von Jim Bob. Nach und nach wurden seine Mitbringsel immer weniger. Als ein Stichling und zwei Kaulquappen tot im Wasser lagen, war Jim Bob ratlos. Was hat er falsch gemacht? fragte er seinen Großvater. Sam überlegte eine Weile, dann fiel es ihm ein. "Sie brauchen frische Luft". Jim Bob schaute seinen Opa an: "Luft? Die Tiere leben doch im Wasser." Sam wurde genauer: "Sie brauchen frischen Sauerstoff, der in feinen Bläschen hoch strömen sollte." Sie gingen beide auf den Dachboden. "Irgendwo muss hier der alte Blasebalg sein, den bedient man mit dem Fuß. Na also hier ist er. Dann brauchen wir noch einen Sandstein und ein dünnes langes Rohr, das die Luft ins Aquarium leitet." Und schon war Jim Bob verschwunden. Kurze Zeit später kam er mit zwei Benzinschläuchen wieder. "Du bist ein Genie", sagte Sam. "Aber der Sandstein wird nicht so leicht zu finden sein." Jim Bob sagte: "Ich gehe mal auf unseren Berg und suche einen passenden Stein". "Beeile dich", sagte Sam. "Aber der Sandstein muss fest sein, der Stein darf nicht zerbröseln."
Eine Stunde später kam Jim Bob wieder mit einer Handvoll Steinen zurück. Sam musterte die Steine und fand schnell den richtigen. Er bohrte mit einen alten Bohrer ein tiefes Loch hinein, dann befestigte er den Schlauch mit Fensterkitt im dem Loch. "Fertig. Jetzt muss nur noch alles ins Aquarium verlegt werden", sagte Sam. Gesagt, getan. Als alles im Aquarium angeschlossen war, legte Sam eine Glasscheibe auf das Aquarium Gestell. Nun nahm Sam Jim Bobs Nachttischlampe, die er auf die Glasscheibe stellte und einschaltete. Das Licht ließ alles im Becken bunt und hell erstrahlen. Jim Bobs Augen strahlten vor Freude. Sam sagte nun: "Jetzt bist du dran, du darfst jetzt vorsichtig mit dem Fuß pumpen." Jim Bob drückte vorsichtig, doch es passierte nichts. "Stärker!" sagte Sam. Und Jim Bob tat dies. Auf einmal ging alles leichter und tausende von Blubberbläschen tanzten nach oben. Jim Bob war hell auf begeistert und rief die Familie zusammen.


10 - Der erste Besuch bei uns

An einem schönen sonnigen Morgen wurde heute zum Frühstück noch ein Gedeck mehr auf unseren großen Tisch gelegt. Alle Kinder saßen pünktlich am Tisch. Keiner kam diesmal zu spät, die Neugier hat sie alle gepackt. Als es an der Tür klopfte, wurde Daniel schnell geöffnet. Da stand er nun etwas verlegen, da ihn 22 Augen gleichzeitig betrachteten. Mary Ellen fand schon beim ersten Kurzbesuch an Daniel Gefallen. Aber auch Erin konnte ihre Blicke nicht zügeln, denn in dieser abgelegenen Gegend bekommt man selten junge und ziemlich gut aussehende Männer zu sehen. Oma Esther ist aber wieder mal die einzige, die den Gast mit einem leichten mürrischen Blick beäugte. Daniel kam näher und setzte sich nach einer höflichen Begrüßung neben John-Boy. Nach dem Tischgebet langten alle kräftig zu. John-Boy fing an, Daniel zu fragen: "Und wie war es bei Murdock?" "Naja nicht so toll, aber man braucht ja Geld". "Wieso nicht?", hakte ich nach. "Wenn du stundenlang immer nur das Gleiche machen musst, ist gas ganz schön eintönig. Der Krach ist fast nicht auszuhalten. Meine Hände scheinen auch schon aus Holz zu sein." Da meldete sich Vater John zu Wort: "Solch Hände haben wir hier auch". Alle Jungs und Großvater zeigten ihn ihre Hände. "Besonders schlimm sind aber die anderen Arbeiter, die scheinen schon selbst Maschinen zu sein. Sie ärgern mich gerne etwas." John sagte: "Das wäre Dir hier nicht passiert, aber wir haben in den nächsten Wochen wirklich nur kleine Aufträge, so dass wir jeden Tag nicht allzu viel zu tun haben." Daniel fühlte sich hier auch schon wohl und sagte: "Ja, hier wäre ich gern zu Arbeit gekommen". Nun ergriff Mary Ellen das Wort: "Und was machst Du so am Wochenende? - Gehst Du auch mal tanzen?" "In den letzten Monaten habe ich mich häuslich eingerichtet und einen kleinen Garten angelegt. Da habe ich nie an Tanzen oder so etwas gedacht. Ich bin jetzt aber so gut wie fertig. Jetzt will ich mal die Gegend erkunden und wandern gehen." Er blickte zu John-Boy: "Kommst Du morgen mit?" Ohne an meine Arbeiten zu denken sagte ich: "Klar!" Ich blickte fragend zu meinem Vater. John sagte nur: "Dafür musst du nachher noch eine Stunde etwas tun und morgen zeigst Du ihm unsere Gegend. Morgen soll es auch noch wärmer werden, da arbeite auch ich nicht so viel". Jetzt sagte Daniel, während er zur Verandatür ging: "Möchte jemand von Euch noch eine Nachspeise? Alle blickten ihn an, als er mit einem Rucksack wieder kam. Er holte ein riesiges Bund Möhren heraus und gab jedem eine. Olivia sagte zu ihm: "Solch Riesenmöhren habe ich ja noch nie gesehen." "Ich habe sie heute aus meinem Garten geerntet". Da holte Daniel noch einen großen Strauß aus dem Rucksack: "Für Sie Madame". Da staunte sogar Esther über den riesengroßen Küchenkräuterstrauß. Jim-Bob sagte nun: "Und für die Tiere gibt es auch eine frische grüne Nachspeise". Er sammelte das grüne Kraut von allen ein. Daniel sagte: "Mein Kraut bekommst du aber nicht...". Als Daniels Möhre im Mund verschwand, machte er vor dem Kraut nicht halt. Auch dies verspeiste er. Alle schauen ihn etwas verwundert an und lachten.
Mary Ellen, die sich auch gern Kräutermixturen von Granny Ketchum holte, dachte nach, ob sie Daniel mal besuchten könnte, aber Ihr Interesse verschwand, als sie sah, was er gegessen hatte. Daniel bedankte sich für das Frühstück und wir gingen in mein Zimmer. Im Hintergrund merkten wir beide, dass hinter uns getuschelt wurde. Ich zeigte ihm mein Zimmer und wir planten unseren morgigen Spaziergang.
Am Abend ging ich heimlich in den Garten und zog drei Möhren aus dem Boden. Mit den abgewaschenen Möhren ging ich zum Kaninchenstall. Die Tiere freuten sich auf mich oder besser, auf das, was ich in der Hand hielt. Jetzt versuchte ich eine Möhre samt Kraut zu verspeisen, doch mein Kauen wurde langsamer und langsamer bis ich sämtliches Grün wieder ausspuckte. Das bleibt doch lieber für unsere Hasen, sagte ich mir und ich biss noch in die nächste knackige Möhre, während die Hasen das Grün glücklich verspeisten.


11 - Die Wanderung

Am nächsten sonnigen Morgen ritt ich mit Blue zu Daniel. Da Blue nicht mitkam, ließ ich ihn am hinteren Garten frei. Dort durfte er sich den ganzen Tag lang den Bauch mit frischem Gras voll schlagen. Auch Daniel war schon fertig. Nun schwang er seinen riesengroßen Rucksack auf den Rücken. Jetzt erst bemerkte ich, dass mein Rucksack dagegen ein Winzling war. Es wurde langsam hochsommerlich warm und wir brachen zur Wanderung in Richtung Blue Ridge Parkway auf. Ich überließ Daniel die Führung und so wanderten wir über die Straße an den Felsen vorbei, bis wir schließlich auf Bahnschienen trafen, die gerade gebaut werden. Ich cremte mich dick mit Sonnenschutz ein. Kurz vor einem Ort machten wir eine Frühstückspause im Schatten der Bäume. Wir kamen an einen Fleck, wo Daniel viele Himbeeren sammelte. Ich ging im nahe gelegenen See baden. Überall waren kantige Steine, man musste vorsichtig hinein gehen. Später kam auch Daniel zum Strand und badete mit. Aus den herannahenden dunklen Wolken drohte es zu regnen, doch daraus wurde nichts. Es war sommerlich warm und wir waren gut gelaunt. Daniel fragte mich, ob wir hier im Wald zelten wollen. Da Daniel sein Zelt mit hatte und es schön warm war, sagte ich zu. Wir wanderten über eine große Brücke und gingen rechts den Weg entlang. Als die Häuser nach 2 Km vollständig verschwunden waren, gingen wir 500m lang einen Weg bergauf, bis wir abgeschlafft oben angekommen waren. Dort hatten wir einen schönen Ausblick auf den See. Nach einiger Suche fanden wir einen freien weichen Platz, wo wir Daniels Zelt aufbauten. Als wir fertig waren, versammelten sich am Rastplatz immer mehr fliegende Ameisen. Wir versuchten zu schlafen, doch die Musik auf den Campingplätzen am Seeufer gegenüber wurde und wurde nicht leiser. Der Boden wurde mir immer unbequemer und ich konnte nicht einschlafen. Die Musik quälte mich, aber irgendwann schlief auch ich ein.
Als der Morgen dämmerte wachte ich frierend auf, denn ich hatte nur ein winziges Handtuch zum zudecken. Etwas später stand ich auf und machte zur Aufwärmung einen Dauerlauf. Die Landschaft am frühen Morgen sah schön aus. Der See war samt der Musik im Nebel verschwunden. Alles war nass, aber geregnet hatte es nicht. Ich machte einen weiteren Morgenspaziergang und danach frühstückten wir, bis unser Proviant fast aufgegessen war. Als die Sonne immer höher stieg, cremte ich mich wie gestern dick mit Sonnenschutz ein. Wir gingen zum See nach unten und führten unsere Wanderung fort. Frisch und munter wanderten wir viele Kilometer am See entlang. Überall fanden wir Himbeeren, die wir vernaschten. An einem Nebenarm des Sees lag ein Maisfeld. So gab es zum Mittagessen frische junge Maiskolben. Daniel nahm noch viele Maiskolben als Proviant mit. Der Weg wurde immer länger, da immer wieder mehr Nebenarme dazu kamen. Nun gewöhnte sich mein Körper an die Sonne und ich musste nicht mehr so viel Sonnenschutz auftragen. Unterwegs verspeiste Daniel auch Ameisen, deswegen nannte ich ihn später auch einmal "Ameisenbär". Die Hochsommersonne brannte, aber Hunger hatte ich keinen. Wir redeten über echte und falsche Kamille doch fanden wir vergebens welche. Irgendwann kamen wir bei Daniel wieder an und ich machte mich frisch. Leicht erholt brachte mich Blue wieder nach Hause. Sonnenschutzcreme brauchte ich nicht mehr.


12 - Das Essen

Zwei Wochen später, lud mich Daniel wieder zu einer Wanderung ein. Als ich bei ihm ankam, begrüßte er mich und stellte mir den Wanderführer Mike vor. Mike führt für etwas Geld Naturwanderungen der besonderen Art durch. Er zeigte uns, wie man sich in der Natur ernähren und dort überleben kann. Für mich klang es auch interessant und so wanderten wir los. Überall zeigte Mike uns ganz normale und unscheinbare Pflanzen, die man essen kann. Wir sammelten alles und ich probierte alles einmal aus. Knoblauchrauke, Löwenzahn, Brennnessel, sind essbar. Auch erfuhr ich, dass Gänseblümchen, Rosenblätter, Dahlienblütenblätter, Veilchen und Stiefmütterchen essbar sind. Mike nahm noch ein paar Proteine in Form von lebenden Ameisen zu sich. Daniel tat es ihm nach. Ich ließ die kleinen Biester lieber weiterkrabbeln, als sie zu verspeisen. Viele Fragen bekamen auch ihre Antworten. Nach einigen Kilometern machten wir Halt und verarbeiteten unsere Kräuter. Alles wurde sehr zerkleinert. Aus den vielen Pflanzen wurde Kräuterbutter gemacht. Gewürzt wurde mit Knoblauchwurz, Sauerklee und etwas Salz. Die Kräuterbutter aßen wir zusammen mit einer Dekoration aus Kleeblüten oder Hagebuttenblüten. Zu trinken gab es Himbeertee, Brennnesseltee und Holunderblüten in Apfelsaft. Es klang alles sehr interessant, aber meine Begeisterung hielt sich in Grenzen. Zum Glück merkte es keiner. Als wir uns verabschiedeten, ritt ich auf Blue nach Hause. Noch nie habe ich mich so auf Mutters deftiges Abendbrot gefreut. Ich erzählte alles von unserer Wanderung, aber ich sagte nichts über meine "Begeisterung" wilde Pflanzen zu essen, da ich Mike und Daniel nicht beleidigen wollte.
Eine Woche später besuchte ich Daniel wieder. Er hatte für uns seine selbst gemachten Spezialitäten zubereitet. Es gab Brennnesseln mit Kartoffeln, Farn-Auflauf und Löwenzahnsalat. Die Brennnesseln aß ich noch aber alles andere war mir zu bitter. Das musste sich sogar Daniel eingestehen: "Wir hätten es ganz frisch zubereitet essen sollen" sagte er. Heimlich verzog ich beim Kosten mein Gesicht. Diesmal musste ich etwas sagen, denn seine Essgewohnheiten veränderten sich immer weiter. "Daniel, sorry ich habe jetzt viele Deiner Kräuter und Pflanzen gegessen. Ich habe alles ausprobiert, doch geschmeckt hat es mir gerade nicht wirklich. Sorry, das musste ich dir jetzt mal sagen." Daniel schaute mich etwas verdutzt an: "Sein Essen umzustellen, ist schon nicht ganz leicht". Ich antwortete darauf nicht.


13 - Drei Wochen Urlaub

An einem schönen sonnigen Nachmittag besuchte mich Daniel ganz spontan. "Ich habe ganz plötzlich von meinem Chef drei Wochen Urlaub bekommen. Die Auftragslage ist bei Murdock zurzeit auch nicht so rosig. Da möchte ich diese Tage nutzen, um die Natur in unserer weiten Umgebung noch besser kennen zu lernen. Morgen geht es los. Hast Du jetzt nicht auch Ferien?" Kannst gerne mitkommen!" Ich schaute ihn verdutzt an und fragte. "Wo willst du lang?" "Ich will etwas den Blue Ridge Parkway entlang wandern." Ich erinnerte mich an seinen riesigen schweren Rucksack, die spontane frostige Übernachtung im Freien und an seine sich weiter verändernde Ernährung. Ich dachte mir, ich würde erfrieren, fast verhungern, verschmutzen usw. So suchte ich eine Ausrede: "So spontan kann ich leider nicht weg. Ich weiß aber auch, dass mich mein Vater jetzt nicht gehen lassen würde. Wir haben einen größeren Auftrag für Schnittholz bekommen." Daniel fragte nicht weiter nach. "Könntest Du bei mir mal nach dem Rechten schauen und meine Pflanzen gießen?" "Klar", sagte ich und nahm seinen Zweitschlüssel entgegen. Wir redeten noch eine Weile, bis er sich von mir verabschiedete. Dass dies der Anfang vom Ende sein würde, ahnte ich damals noch nicht.


14 - Neue Hobbys

In dieser Zeit wurde Elisabeths und Jim Bobs Aquarium etwas trübe. Wieder hatte Jim Bob die Sauerstoffzufuhr vergessen. Und als nach längerer Zeit die ersten Tiere starben, übernahm Elizabeth das Aquarium und deren Pflege. Sie ging zu Opa Sam und bat ihn um Rat. Er sagte zu ihr, dass sie sich eine neue Verwendung dafür einfallen lassen solle. Sie überlegte mit Erin und Mary Ellen zusammen. Bald hatten sie eine wunderbare Idee.
Jim-Bob merkte es nicht einmal, dass das Aquarium auf einmal verschwunden war, denn es war schon lange abbezahlt. Wie bei vielen Kindern lässt ihr Interesse an einem Hobby auf einmal nach. Meist sind es neue Hobbys, die die alten Interessen verdrängen.


15 - Bretter, Bretter, Bretter

Langsam wurde es Herbst, als Daniel zurückkam. Er erzählte mir mit viel Begeisterung von seinen Erlebnissen. Er übernachtete im Wald und ernährte sich von frischem Obst, sehr vielen Grünpflanzen und gekauftem Brot. Ich erzählte ihm, dass ich regelmäßig seine Pflanzen gegossen hatte und wie ich einen Kampf gegen Blattläuse in seinem kleinen Apfelbäumchen führte. Dafür war sein dritter Arbeitstag in der Sägemühle eine Katastrophe. Wie vor dem Urlaub sägte er Leisten und Bretter wie am Fließband, bis er kurz vor Feierabend wütend wurde und seine frisch gesägten Bretter überall herum warf. Viele landeten im Schlamm. Als sein Chef die sah, eilte er zu ihm und packte ihn am Kragen. "Sie sind gefeuert! Und Lohn für den heutigen Tag bekommen sie auch nicht." Er zeigte auf die schlammverschmierten Bretter. Daniel war vor lauter Eintönigkeit durchgedreht. Langsam beruhigte er sich und ging glücklich von dannen. Nie wieder Bretter, Bretter, Bretter...


16 - Daniels Reiselust

Ich hatte mal wieder Lust, Daniel zu besuchen und trabte auf Blue in seine Richtung. Ich nahm ein Buch mit und las, während Blue seinen gewohnten Weg schritt. Blue hatte sich schon daran gewöhnt. Dort angekommen, begrüßte ich Daniel. Er schaute irgendwie anders aus. Sein Gesicht blieb ernst. So ging ich ins Haus, er wollte gleich nachkommen. Sein Tisch war voll mit Landkarten und vielen Notizzetteln. Ich fing an zu lesen: Unbedingt mitnehmen: Messer, Kochgeschirr Schlafsack usw. Auflösen der Wohnung. Abmelden bei Ike. Langsam dämmerte es bei mir. Daniel betrat das Zimmer. Ich blickte ihn etwas betrübt an: "Was soll das?" "Ich werde auf eine große Reise gehen. Die Wanderung zum Blue Ridge Parkway hat in mir die Reiselust geweckt. Arbeit, die mir halbwegs Spaß macht, werde ich hier sowieso nicht finden." Ich fragte weiter: "Gibst Du das Haus hier auf?" "Ja, bis nächsten März läuft hier mein Pachtvertrag. Danach will ich losziehen", sagte Daniel. "Wenn ich zurückkomme, werde ich in mein altes Zimmer nach Hause ziehen". "Und was ist mit unserer Freundschaft?" "Ich schätze mal, in einem Jahr werde ich wieder hier sein, dann fahren wir mal wieder ins Kino. Während meiner Reise werde ich Dir auch mal ein paar Postkarten schreiben". Die nächste Stunde verbrachten wir wortlos miteinander. Später fragte ich ihn: "Machst Du das, weil Du hier sowieso keine Arbeit mehr bekommst?" "Ja auch" sagte er. Ich schaute ihn an: "Und wenn Du Granny Ketschum's Arbeit übernimmst, Arzneipflanzen zu sammeln und zu verkaufen. Angefangen hast Du ja damit schon. Sehr viele Nachbarn aus unserer Gegend waren bei ihr Stammkunden. Mein Großvater kennt sich mit vielen Pflanzen aus, von ihm kannst Du auch viel lernen. Selbst Mary Ellen besuchte Granny immer mal wieder um Heilkräuter zu kaufen." Daniel brauchte eine Weile um zu antworten: "Ein schöner Gedanke, aber ich will erst mal die Welt sehen. Versteh mich bitte! Vielleicht später." Irgendwie fühlte ich jetzt, dass er ein Einzelgänger ist und mehr an sich denkt. Unsere Freundschaft scheint ihm doch ganz egal zu sein. Aber jeder muss seinen eigenen Weg gehen.


17 - Das Unverständnis

Der Herbst kam und das Erntedankfest stand bevor. Es wurde kühler und die bunten Blätter tanzten ihren Reigen. Daniel saß seit längerer Zeit mal wieder mit am Frühstückstisch. Er aß nur unser Brot, in das er sich selbst zubereitete Wildpflanzen hinein legte. Als die Kinder zur Schule geschickt wurden, gab es noch eine Gesprächsrunde mit Daniel und meiner Familie. Vater John fragte: "Was willst du jetzt machen? Wirst Du Dir einen neuen Job suchen?" Daniel sagte: "Ich mache jetzt eine große Wanderung. Ich will etwas von der Welt sehen." "Und wovon willst du leben?", fragte John. "Ich habe Geld gespart, welches ich aber nur im Notfall ausgeben werde. Viele träumen gerne mal vom kurzzeitigen Ausbruch aus der Gesellschaft. Doch die Realität holt sie schnell wieder ein." Die meisten trauen sich nicht oder sie sind zu feige. John erzürnt: "Ausbruch?" Daniel sagt: "Ich mache das, worüber andere nur reden, aber sich nicht trauen. Ich steige einfach mal aus und lebe mein Leben." John sagt: "Ich traue mich schon. Sam kommst du mit?" John und Sam nahmen sich ihr Angelzeug und stiegen ins Auto und fuhren los. Olivia gab beiden noch Essen mit. John blickte zornig zu Daniel: "Der Truthahn, den ich heute zum Thanksgiving schießen wollte, wird am Leben bleiben. Wir brechen jetzt auch aus!" Olivia bekam noch einen Schmatz und schon fuhren John und Sam davon. Daniel schaute dem Auto nach und sagte nun zu John-Boy: "Da habe ich ja etwas angerichtet". Ich sagte: "Ja ganz schön". Daniel zog seinen linken Schuh und seine Socke aus. Darin verstaute er seine Finanzen. Er gab mir ein paar Dollar und steckte den Rest wieder ein. "Kauf dafür einen Truthahn". "Mach ich", sagte ich. Als Olivia dies sah, lächelte sie ihn wieder an und sagte: "Lebe du dein Leben und versuche gesund und munter wiederzukommen". Daniel bedankt sich für diese Worte mit einem herzlichen Lächeln.
Seit dieser Zeit redete kaum noch jemand in meiner Familie über Daniel. Er war doch etwas zu weit gegangen.
Ich selbst verstand Daniel sehr gut. Wie gerne würde ich auch einmal aus meinem Alltagstrott ausbrechen, aber auch ich tat es nicht. Um mich an seinen Weggang zu gewöhnen, ließ ich die Abstände unserer Treffen immer größer werden.


18 - Silvester in Waltons Mountain

Weihnachten und Silvester kamen immer näher. Immer öfter tanzten Schneeflocken ihren Reigen und sorgten bald für die weihnachtliche stille Nacht. Jede Familie feierte Weihnachten für sich allein. An einem schönen sonnigen Morgen des letzten Tages in diesem Jahr war es immer noch schneeweiß, aber nicht so kalt. Vormittags kam wie verabredet Daniel mit Rucksack zu uns und wir stellten unsere Uhren auf die gleiche Uhrzeit ein. Jim Bob zeigte mir seine sechs roten Böller, die er sicher auf einer Apparatur befestigte. Ich belud unseren Schlitten mit Proviant und mit vielen Decken. Blue hätte ich am liebsten mitgenommen, aber zu Silvester hatte er immer Angst. Das wollte ich ihm nicht antun. So verabschiedete ich mich mit Daniel von der Familie und wir wanderten los, denn unser Ziel war noch weit. Jim Bob sagte noch in der Ferne: "Auf ein Wiedersehen, im nächsten Jahr!"
Zu zweit ging es langsam immer höher. Wie redeten über unsere gemeinsame Zeit und sprachen über Daniels große Reise. Ich hatte mich auch langsam damit abgefunden, dass er bald nicht mehr da ist. Langsam wurde es dunkel und wir waren immer noch unterwegs. Der weiße Schnee und das Mondlicht wiesen uns den Weg sicher zum Gipfel. Oben angekommen, genossen wir die Stille. "Herzlich willkommen auf unserem Berg, willkommen auf dem Waltons Mountain!", sagte ich. Nun machten wir als Erstes ein größeres Feuer. Daneben baute Daniel sein Zelt auf. Es waren noch einige Stunden bis Mitternacht und so wärmten wir Olivias leckeren Möhreneintopf über dem Feuer auf. In Decken eingemummelt fühlten wir uns pudelwohl, denn es wurde uns wunderbar warm. Nach einiger Zeit standen wir auf und wanderten eine kleine Runde. Es war still und ruhig. Unten im Tal sah man ganz wenige winzige Lichter. Ich versuchte Daniel zu erklären, wer dort wohnen könnte.
Auf unseren Uhren vereinigten sich die Zeiger ganz oben zu einem einzigen Strich, als endlich die Kirchenglocken in der Ferne ganz leise läuteten. Wie verabredet, nahm ich jetzt die alte Pistole und schoss dreimal rotweiße Leuchtmunition in die Luft.
Zu Hause war die Familie draußen versammelt. Als Jim Bob das Signal sah, schoss er seine roten Böller ab und alle wünschten sich ein frohes neues Jahr.
Auf dem Berg sahen wir die roten Lichter, und ich zeigte in die Richtung, wo gleich gelbe Lichter folgen sollten. Daniel schaute in die Richtung und wir sagten beide zusammen: "Frohes Neujahr! Ike Godsey!" Nun zeigte ich in die letzte Richtung wo noch grüne Lichter geplant waren. Aber es war nichts zu sehen. Rund um den Berg sah man so einige Böller, die immer weniger wurden. Auf einmal sahen wir auch die grünen Lichter unserer Baldwin Schwestern. Sie schienen verschlafen zu haben. Jetzt schenkten wir uns warmen Tee ein und wünschten uns auf dem Waltons Mountain ein gesundes und frohes neues Jahr.
Jetzt wurde es wieder ganz still und ich packte meine Sachen auf den Schlitten. Daniel richtete sich in seinem Zelt gemütlich ein. Nach einer herzlichen Verabschiedung stapfte ich wieder nach Hause, denn im Winter wollte ich hier nicht übernachten. Der Vollmond wies mir den Weg und einige Stunden später lag ich in meinem warmen Bett.


19 - Abschied

Der Winter zeigte sich nach Silvester von seiner finsteren Seite. Eine Woche später legte der viele Schnee jeglichen Verkehr lahm. Der einzige Draht zur Außenwelt war unser Radio. Doch nach und nach verflog der Winter schneller als ich dachte. Unsere Sägemühle, meine Geschichten und meine Schularbeiten ließen die Zeit vergehen. Als ich endlich die ersten Schneeglöckchen sah, dachte ich an Daniel und an seine Abreise im Frühling. Da der Winter seine dicke Schneepracht lange behielt, sah ich Daniel seit Silvester nicht mehr. Zu viel hatte ich zu tun und zu traurig war ich über sein Weggehen. Da ist Abstand zu bewahren die beste Lösung.
Nun kam der Tag des Abschieds immer näher und eines Tages stand Daniel vor unserer Tür. Keiner interessierte sich mehr für ihn. So ging ich alleine auf die Veranda. Wir wünschten uns gegenseitig alles Gute und dann ging er auf seine große Reise. Ich sah ihm lange nach, bis er verschwunden war. Eine Träne stand mir im Gesicht und als ich darüber nachdachte, wurde ich dankbar durch Jim Bob unterbrochen: "John-Boy, kannst du mir mal helfen?" Erin sah John-Boy die Treppe hoch kommen: "Ich soll für den Deutschunterricht eine Geschichte schreiben, da bist du doch der Spezialist." "Klar", sagte ich. "Ich komme gleich, wenn ich mit Jim Bob fertig bin." So widmete ich meine Aufmerksamkeit wieder mehr meinen Geschwistern.


20 - Nachwort

Ein Jahr später ging ich bei Ike Godsey wieder einmal einkaufen, als er mir eine Zeitung auf den Tisch legte. Nach langer Zeit sah ich über Daniel einen Artikel mit Bild in der Zeitung. Sein Aussehen hatte sich sehr negativ verändert. Auf dem Bild sah er aus wie ein Streuner. Daniel war ein Einzelgänger, und so ließ ich ihn weiter ziehen.
Auch in den nächsten Jahren habe ich nicht mehr viel von ihm gehört. Zweimal kam er noch vorbei und dann war es ruhig um uns geworden. Mit Daniels Eltern habe ich aber heute noch Kontakt. Mit seiner Mutter treffe ich mich öfters im Kino, in dem ich auch Daniel kennen gelernt hatte.
Ich denke gern an die Freundschaft mit Daniel zurück. Eine Freundschaft ist wie ein Hobby, wie Jim Bobs Aquarium, sie können lebenslang andauern oder einfach vergehen. Sie bleiben aber als wunderschöne Erinnerung. Vielleicht treffen wir uns später wieder. Alles ist in der Zukunft möglich, denn sie ist noch nicht geschrieben.
Es war im späten Frühling, meine Arbeit zu Hause in Waltons Mountain war getan. Heute Abend wollte ich kein Buch lesen, heute Abend wollte ich eine Geschichte in Bildern erleben und so fuhr ich mit meinem Wagen nach Charlottesville ins Kino. Heute sitzt Mary Ellen neben mir, denn etwas habe ich durch Daniel gelernt: Zu zweit macht alles viel mehr Spaß.


21 - Gute Nacht

Elizabeth: "Jim-Bob?"
Jim-Bob: "Ja Elizabeth."
Elizabeth: "Weißt Du eigentlich wo Dein Aquarium jetzt steht?"
Jim-Bob: "Nö, Hmmh. Wo ist es denn? Dafür hatte ich viel Geld bezahlt"
Elizabeth: "Ich habe die letzten lebenden Tiere wieder in den Teich gesetzt und mit Erins Hilfe habe ich da jetzt ein Terrarium daraus gemacht. Das Licht obendrüber haben wir behalten."
Jim-Bob: "Also habt ihr jetzt eine Nachttischlampe mit Grünzeug drin?"
Elizabeth: "Ja, aber hast Du es nicht bemerkt, dass wir es ins Mädchenzimmer gestellt haben?"
Jim-Bob: "Nein, Ich hatte so viel mit meinem neuen Radio zu tun und gestern habe ich das Grammophon der Baldwins repariert."
Elizabeth: "Gute Nacht"
Jim-Bob: "Ja. Gute Nacht alle zusammen!".


Peter Lemmer - 24. Mai 2014