Stürmische Weihnacht
Ein gewaltiger Knall drang durch die Nacht. Doch der Schall währte nicht lange, und es war wieder ruhig. Die Stille, die den Berg umgab, war wieder hergestellt.

Während draußen wieder friedliche Stille herrschte, wurde es im Inneren des Walton-Hauses von Sekunde zu Sekunde lauter. Alle waren durch den Krach geweckt worden, und trafen nun im Wohnzimmer aufeinander.

"Was war das?"
"Was auch immer das war, gut hat es sich nicht angehört."
"Wir sollten nachsehen."
"Seid aber bitte vorsichtig!"

Auch wenn all ihre Kinder mittlerweile erwachsen waren, und zum Teil selbst Kinder hatten, für Olivia blieben es immer ihre Kinder, die sie beschützen musste und wollte.

Jason, Ben und Jim-Bob machten sich auf den Weg in die Dunkelheit, um herauszufinden, was sie so unsanft aus dem Schlaf gerissen hatte. John ging nicht mit, denn ein Walton-Mann sollte im Haus bleiben, und einen Wunsch hatte er seiner Frau noch nie abschlagen können, und so gingen nur seine Söhne mit Taschenlampen bewaffnet langsam die Straße hinab.

Doch weit mussten sie nicht gehen. Schon nach ein paar Schritten sahen sie den Wagen, der frontal gegen einen Baum geknallt war, und nahmen gleichzeitig das Geschrei eines Kindes war.

Sie begannen zu laufen, um zu sehen, ob der Fahrer verletzt war, ob sie helfen konnten. - Kaum waren sie beim Auto angekommen, erkannten sie nicht nur, dass der Fahrer eine Frau, sondern auch, dass sie bewusstlos war.

"Ok, wir nehmen die Frau. Nimm Du das Kind." sagte Jason, während er zusammen mit Jim-Bob die Verletzte aus dem Wagen holte.
Vorsichtig griff Ben nach dem Kleinkind, das ihn ängstlich anschaute.

Jason und Jim-Bob trugen die Frau zum Haus zurück, während Ben sich liebevoll um das Kind kümmerte, dass, seit er es auf dem Arm hatte, nicht mehr schrie.

"Was ist passiert?" fragte Olivia, als sie angekommen waren.
"Ein Autounfall."
"Sie ist bewusstlos. Aber dem Kind scheint nichts passiert zu sein." sagte Ben.

"Lasst mich mal sehen!" sagte MaryEllen, und untersuchte das Kind auf offensichtliche Verletzungen.

"Ich kann nichts feststellen, aber wir sollten es Morgen trotzdem unbedingt ins Krankenhaus bringen..."

"Und was machen wir jetzt mit ihr?"
"Ich würde sagen, wir lassen sie einfach auf dem Sofa liegen und schlafen." sagte MaryEllen, "Und ich werde hier wachen, falls sie in der Nacht aufwachen sollte, denn dann sollte sie nicht allein sein."

Dann wand sie sich an den Rest der Familie, "Und Ihr geht jetzt alle wieder schlafen!"

Die Familie trennte sich, und die nächtliche Ruhe kehrte wieder ein.

MaryEllen deckte die Frau zu, überzeugte sich noch einmal, dass Puls und Atmung regelmäßig waren, und versuchte es sich dann ebenfalls auf einem Sessel bequem zu machen.

Ein paar Stunden später schreckte die Frau hoch,
"Ben?"

Durch diesen Schrei erwachte auch MaryEllen, die eingenickt war.

"Schhhh. Ganz ruhig. Es ist alles in Ordnung." sagte sie, und legte der Frau die Hände auf die Schultern.

Verwundert schaute die Frau sie an, "Wo bin ich?"
"Sie hatten einen Autounfall. Wir haben sie gefunden."

"Wer sind Sie?"
"Mein Name ist MaryEllen. Und sie sind hier im Haus meiner Familie."

"Wo ist mein Sohn?"
"Dem geht es gut. Das schläft nebenan. Und sie sollten auch noch etwas schlafen..."

Ängstlich schaute die Frau sie an,

"Sie brauchen keine Angst zu haben. Hier kann Ihnen nichts passieren. Versuchen Sie noch etwas zu schlafen. Das wird Ihnen gut tun. Morgen sehen wir dann weiter..."

Die Frau nickte, und sowohl sie, als auch MaryEllen versuchten noch ein paar Stunden Schlaf zu bekommen.

* * * *

Der nächste Morgen begann friedlich. Die Sonne schien, und der bereits gefallene Schnee glänzte.

Die Frau erwachte, und erkannte, dass sie mehrere Augen anstarrten.
"Was...?"

"Guten Morgen. Wie fühlen Sie sich?"

"Ich habe Kopfschmerzen."
"Verständlich nach dem Aufprall." sagte MaryEllen.

Die Frau sah sich um, schaute in die Gesichter der für sie fremden Menschen.

"Wo ist Ben?" fragte sie plötzlich.

Alle drehten sich um, und schauten Ben an, der fragend zurückschaute.

Schließlich stand die Frau auf, und ging auf Ben zu.
"Da bist Du ja." sagte sie, und nahm Ben das Kind ab. "Gottseidank ist Dir nichts passiert."

Die Blicke der Anderen wanderten von Ben zu der Frau hinüber.

"Was ist?"

"Wir dachten, Sie meinen..."
"Ich heiße Ben." sagte er, und konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen, und auch die Anderen mussten lachen.

"Tatsächlich? Nun. Dann danke ich Ihnen, dass Sie sich um meinen Ben gekümmert haben." sagte die Frau.

"Kommen Sie, setzen Sie sich." sagte Olivia.
"Danke." sagte die Frau.

"Ich fahr Sie gleich ins Krankenhaus." sagte MaryEllen, "Ich konnte zwar gestern nichts ernstes feststellen, aber ich möchte gerne sichergehen, dass Sie wirklich gesund sind."
"Sind Sie Ärztin?"
MaryEllen nickte.

"Wie heißen Sie eigentlich?" fragte Olivia höflich.
"Ireen."

"Wo wollten Sie denn gestern hin, Ireen?" fragte Olivia, "Mitten in der Nacht?"
"Ich...Ich war auf dem Weg zu meiner Familie, um mit ihnen das Weihnachtsfest zu verbringen. Und ich wollte soviel Strecke wie möglich schaffen."

"Nachts? Bei diesen Witterungsverhältnissen?" fragte John.
"Die hab ich scheinbar unterschätzt."

"Nun sollten Sie aber erst mal etwas essen." sagte Olivia.

Das Frühstück war eine gute Gelegenheit, dass sich sämtliche Familienmitglieder vorstellen konnten.
Ireen war sichtlich verwirrt. John. Olivia. Jason. Toni. MaryEllen. Ben. Erin. Jim-Bob. Elizabeth. Drew. Und ein Haufen Kinder. Das waren zu viele Gesichter, zu viele Namen, zu viel Info auf einmal.

"Oje. Ich fürchte, wir haben Ireen jetzt überfordert."
"Das nicht. Aber ich glaube nicht, dass ich mir das alles gleich merken werde."
"Das geht einfacher, als Du glaubst."
"Wirklich?"
Elizabeth nickte, "Und wir sind noch nicht mal vollständig."

Nach dem Frühstück machten sich MaryEllen und Ireen auf den Weg ins Krankenhaus, kehrten aber bald zurück, da keine weiteren Verletzungen festgestellt wurden.

"Da haben Sie wirklich Glück gehabt."
"Gottseidank. Wann werd ich weiterfahren können?" fragte Ireen.

Jim-Bob schaute sie ernst an, "Ich fürchte mit Ihrem Wagen werden Sie nicht weit kommen."
"Was?"
"Durch den heftigen Aufprall. Ich werd ihn zwar reparieren können, aber das wird Tage dauern. Vor allem, da ich durch die Feiertage jetzt nicht an Ersatzteile kommen werde."

Ireen sank auf dem Sofa zusammen.

"Dann bleiben Sie einfach über die Feiertage bei uns.
"Rufen Sie Ihre Familie an, und sagen was passiert ist."

"Ich will Ihnen wirklich keine Umstände machen."
"Ach was. Unser Haus ist immer offen. Außerdem ist es ein Notfall."

Ireen zuckte mit den Schultern.

"Und wo bringen wir Ireen unter? Ich meine, sie kann ja schlecht die ganze Zeit auf dem Sofa bleiben?"

Alle schauten sich an, denn wenn die Familie wie an diesen Tagen vollständig zusammenkam, war das Haus voll. Mehr noch. Jedes Zimmer war mit mehr Personen belegt, als eigentlich vorgesehen.

"Ben, Du hast doch Platz in Deinem Haus?"
"Sicher."
"Dann kannst Du doch Ireen beherbergen?"

Ben nickte.

"Seht Ihr: Für jedes Problem findet sich eine Lösung."

Ben half Ireen ihr Gepäck aus dem Wagen zu holen, den Jim-Bob mittlerweile in den Hof geschoben hatte.

Dann zeigte Ben ihr das Zimmer, in dem sie schlafen sollte.
"Nicht viel, aber ich denke, zum Schlafen wird es reichen?"
"Natürlich. Wir brauchen nicht viel Platz, oder Ben?" sagte sie, und schaute zu ihrem Sohn, der sich an ihre Schulter geschmiegt hatte.

Während Ireen ihren Koffer auspackte, ermahnte Ben sie noch, sein Zimmer nicht zu betreten, dann ging er wieder zum Haus rüber, um sich zusammen mit seinem Vater seiner Arbeit zu widmen, denn auch in der Vorweihnachtszeit stand die Sägemühle nicht still.

Im Hause saß der Rest der Familie zusammen.

"Ich weiß nicht wieso, aber ich habe so das Gefühl, irgendetwas stimmt mit ihr nicht."
"Wie kommst Du denn darauf?"
"Ich weiß nicht. Ist halt nur so ein Gefühl."

"Also, ich finde sie sehr nett. Und der kleine Ben ist soooo niedlich."
"Das stimmt."
"Lustig, dass er Ben heißt, oder?"

Schließlich betrat Ireen das Haus wieder, und schlagartig wurde es still.

"Ihr habt über mich geredet, oder?"
Bedrückendes Schweigen lag im Raum.
"Naja, ein bisschen."

"Kann ich verstehen, so unangemeldet wie ich hier reingeschneit bin."

"Erzähl doch mal was von Dir!"
"Was möchtest Du denn wissen?"
"Wo Du herkommst. Was Du so machst."
"Ich komme aus NewYork, und habe dort als Kellnerin gearbeitet. Aber im Moment kümmere ich nur noch um Ben."
"Was ist mit Ben's Vater?"
"Der hat mich verlassen, als er erfahren hat, dass ich schwanger bin."
"Das tut mir leid."
"Muss es nicht, denn was soll ich mit einem Mann, der nicht zu seinem Kind steht? Da kann ich gut drauf verzichten. Und irgendwo wird schon der Mann sein, der mich und Ben nimmt."

"Deinen Optimismus möchte ich haben."
"Wieso denn?"
"Nach meiner Scheidung hatte ich kaum eine Beziehung. Die Kinder haben Jeden abgeschreckt...und jetzt wo sie älter sind, wird das ganze nicht leichter."

Der Tag verging, schnell wurde es dunkel, und hier in den Bergen schien es dunkler zu sein als anderswo. Dunkler, aber gleichzeitig auch schöner. Von allen Ecken schien es zu glänzen, der Schnee hatte die Gegend in ein winterliches Wunderland verzaubert.

Ireen verabschiedete sich von der Familie, um ihren Sohn schlafen zu legen, und sich selbst zurückzuziehen.

Ben begleitete sie.

"Es tut mir sehr leid, dass ich Dir so zur Last falle."
"Tust Du doch gar nicht!"
"Naja. Da Du Dein eigenes Haus hast, bin ich jetzt einfach davon ausgegangen, dass Du gerne mal für Dich alleine bist."
"Das stimmt."
"Siehst Du. Und jetzt störe ich..."

Ben schüttelte den Kopf.

"Bei dem Platz den ich hier habe, muss ich zwangsläufig damit rechnen, dass sich hier irgendwer aufhält. Besonders an Feiertagen, da wuselt auch hier immer irgendwer rum!"

Ireen legte Ben in den Sessel, den sie als sei Bettchen ausgestattet hatte, deckte ihn behutsam zu, und gab ihm einen Kuss.
"Schlaf gut, und träum was schönes!" dann zog sie sich zusammen mit Ben ins Wohnzimmer zurück.

"Du hast wirklich ne tolle große Familie. Ich mag sie sehr." sagte Ireen.

"Ich auch." sagte Ben grinsend.
"Und jetzt? Was machen wir mit dem angebrochenen Abend?"
"Gute Frage. Jetzt wo der Kleine schläft, hab ich endlich mal Zeit für mich."

"Was hältst Du von einem Spaziergang durch den Schnee?"
"Das ist eine gute Idee."
"Dann lass uns gehen."
"Nur wird Beide?"
"Ja...oder hast Du Angst vor mir?"
"Und wie?" sagte Ireen, nicht ohne Ben anzugrinsen.

Schließlich machten sich die Beiden auf den Weg. Gemütlich stapften sie durch den Schnee.

"Was ist das schön hier." sagte Ireen, "Du musst doch echt der glücklichste Mensch der Welt sein, hier leben zu dürfen!"

"Ich bin hier aufgewachsen. Was soll ich sagen?"
"Eben."

"Aber das Stadtleben ist doch bestimmt auch toll?"
"Naja. Irgendwie. Aber man hat da so selten Zeit für sich. Und wenn, dann hat man keine Gelegenheit sie zu nutzen. So wie jetzt. Ich bin seit Ewigkeiten nicht mehr spazieren gegangen."

"Du kennst mich. Meine Familie. Meine Gegend. Aber ich weiß so gar nichts über Dich. Erzähl mal was."
"Da gibt's nichts zu erzählen. Eltern. Einen jüngeren Bruder. Ein Haus mitten in der Stadt." Ireen zuckte mit den Schultern, "Unspektakulär."

Dann lief sie ein paar Schritte voraus, "Weißt Du, was ich schon lange mal wieder machen wollte?"
"Nein." sagte Ben.
"Das." sagte Ireen, drehte sich um, und warf einen Schneeball nach ihm.
"Na warte." sagte Ben, bückte sich, und erwiderte ihren Angriff.

In sekundenschnelle war zwischen den Beiden die herrlichste Schneeballschlacht in Gange. Ein Ball folgte dem nächsten, einige trafen, einigen verfehlten ihr Ziel. Alles in allem hatten die Beiden viel Spaß, vergaßen für einen Augenblick, wie alt sie waren.

Doch nur bis zu dem Moment, wo Ireen auf dem glitschigen Boden wegrutschte. Ben schaffte es gerade noch, sie aufzufangen, bevor sie hinfiel.

Nun hielt er sie. Zum ersten mal berührten sich die Beiden. Sahen sich direkt in die Augen. Keiner von den Beiden sagte ein Wort. - Es dauerte einen Augenblick...dann waren ihre Lippen zu einem sanften Kuss verschmolzen.

Ihre Lippen trennten sich von einander, ihre Blicke blieben aber noch eine Weile aneinander haften. Es schien als würden sie sich gegenseitig bis auf den Grund der Seele gucken.
Doch dann trennten sich auch die tiefen Blicke.

"Ich mag Dich." sagte Ireen schließlich als erste.
"Das will ich hoffen, denn ich mag Dich auch". antwortete Ben, und legte seinen Arm um sie.

Aneinander gekuschelt spazierten sie noch eine ganze Weile, genossen die Nähe zueinander und den Anblick der verschneiten Berge.

"Und jetzt?" fragte Ireen als sie wieder Zuhause waren.
"Es ist spät. Ich muss Morgen früh raus. Wir sollten schlafen gehen?"

"Irgendwie hatte ich mir jetzt ein anderes Ende für diesen schönen Tag gewünscht."
"Und wie sollte es aussehen?"
"Ich weiß nicht. Etwas gemütlicher halt..." sagte Ireen, und zuckte mit den Schultern.

"Ich bin wirklich müde." sagte Ben, "Ich kann Dir nur noch meine Arme anbieten."
"Ok. Nehm ich." sagte Ireen, und eine Weile später schliefen sie Arm in Arm ein.

* * * *

Am nächsten Tag beschlossen die Beiden, den anderen nichts von dem zu erzählen, was sich im Wald abgespielt hatte. Das sollte vorerst ihr Geheimnis bleiben.

Und so war es ein ganz normaler Tag.
Ireen nutzte jeden Moment sich irgendwie nützlich zu machen. Sie wollte der Familie, die sie aufgenommen hatte, und in der sie sich sehr wohl fühlte, nicht zur Last fallen.

Sie hatte sich mehr oder weniger mit jedem Familienmitglied angefreundet, und auch die letzten Zweifel gegenüber ihrer Person waren ausgeräumt. Sie genoss es in dem großen Kreis der Familie zu sein.

Mit den Frauen der Familie unterhielt sich Ireen sehr viel über alles mögliche, und auch mit den Männern kam sie gut aus. Nur das Verhältnis zu Ben konnte sie immer noch nicht beschreiben. War sie tatsächlich verliebt? Oder wollte sie einfach nur verliebt sein? War es Zufall oder Schicksal, dass er und ihr Sohn den gleichen Vornamen trugen? Und liebte Ben sie überhaupt? Ein Kuss musste ja nicht unbedingt etwas heißen...

Ireen wusste es nicht, sie merkte nur, dass sie, wenn er in der Nähe war, ihren Blick nicht von ihm lassen konnte. So war es auch jetzt, während die Frauen in der Küche mit Weihnachtsvorbereitungen beschäftigt waren, spielten die Männer im Wohnzimmer mit den Kindern.

"Ben ist richtig süß. Hat er selbst Kinder?"
"Hatte" sagte Erin und schaute Ireen ernst an, dann erzählte MaryEllen ihr kurz und knapp die tragische Geschichte.

"Charly starb kurz nach der Geburt, Virginia ein paar Jahre später. Und seine Frau Cindy hat Ginny's Tod nie verkraftet, und sich schließlich das Leben genommen."

"Das ist ja furchtbar."
"Wir reden da nicht drüber. Schon gar nicht in der Gegenwart von Ben!"
"Verstehe."

Ireen wollte gerade noch etwas sagen, als die Haustür ruckartig aufgerissen wurde, "Hallo Familie!"

Sämtliche Familienmitglieder stürmten auf das Paar zu, um sie zu begrüßen.

Ireen blieb in der Küche stehen, und beobachtete das Geschehen. Die Freude in der Familie schien groß zu sein über den Besuch, denn sie sah nur strahlend-lächelnde Gesichter.

Dann machte sie ein paar Schritte ins Wohnzimmer, um sich Ben anzunehmen, den die Jungs in ihrer Aufregung ganz vergessen hatten. Liebevoll nahm sie ihn auf den Arm, und wollte sich gerade wieder zurückziehen, als Erin sie zurückhielt.

"John-Boy, Janet, das ist Ireen. Sie wird die Weihnachtstage mit uns verbringen. Ireen, das ist John-Boy, der Familienälteste, seine Frau Janet, und ihre Zwillinge."

"Hallo."
"Hallo. Und wer ist dieser süße Kerl?" fragte John-Boy, und streichelte dem Kind über den Kopf.

"Das..." begann Ben, und nahm Ireen das Kind ab, "Ist mein Namensvetter, Ireen's Sohn Ben."
"Nein."
"Doch."

"Ok. Dann haben wir also einen doppelten Ben im Haus. Warum auch nicht? Öfter mal was neues."

John-Boy hatte nicht mal Zeit, sein Gepäck abzustellen, so sehr wurde er von seinen Geschwistern belagert.

Ireen merkte deutlich, dass er Familiensinn noch ein Stück gewachsen war. Und irgendwie fühlte sie sich fehl am Platz. Und so schlich sie sich durch die Hintertür nach draußen, ging ein paar Schritte, und nahm schließlich auf der Veranda platz.

Sie mummelte sich und Ben in eine Decke ein, und genoss den Ausblick auf die verschneite Bergwelt. Eine himmlische Ruhe lag in der Luft, die nur durch das Gelächter im Haus unterbrochen wurde.

"Hörst Du das, Ben? Das ist eine sich liebende Familie. Jeder ist für jeden da. Jeder hört jedem zu. So was werden wir Beide nie haben." sie umklammerte ihren Sohn, "Aber wir machen das beste daraus. Wir sind doch auch ein gutes Team, oder?"

Ireen lehnte sich zurück, und schloss die Augen. Für einen Moment versank sie in Traumgedanken. Allerdings währte der Moment nur kurz...

"Was machst Du denn hier draußen?"

Ireen schreckte hoch.
"Ich wollte Euch bei Eurer Wiedersehensfreude nicht stören..."

"Jetzt hör aber auf, ja? Du gehörst doch schon fast zur Familie. Da störst Du doch nicht." sagte Ben, und setzte sich neben sie. Schweigend, aber irgendwie selig lächelnd saßen sie eine ganze Weile nebeneinander, bis die Tür erneut aufging.

"Ben?"
Erschrocken zuckten er und Ireen zusammen, als John-Boy auf die Veranda trat.
"Ach hier steckst Du?"
"Was gibt's denn?"
"Daddy sagte, Du hättest etwas Neues? Das würde ich gerne sehen."
"Ok." sagte Ben, und gemeinsam gingen die beiden Männer zur Sägemühle hinüber.

Ireen schaute ihnen nach, und seufzte.

Ben zeigte John-Boy das Gerät, dass er im letzten Monat angeschafft hatte, damit die Arbeit auch während der harten Wintermonate vorankommen würde.

"Und? Wie lange habt Ihr Euch deshalb diesmal gestritten?" fragte John-Boy, denn er konnte sich gut daran erinnern, dass sich sein Bruder und sein Vater schon wegen Kleinigkeiten, die das Geschäft betrafen in die Wolle bekamen.

"Gar nicht."
"Ist nicht Dein Ernst?"
"Doch. Ich habe es vorgeschlagen, Daddy hat es akzeptiert. Fertig."
"Ich bin begeistert. Vielleicht werden aus Euch eines Tages doch noch Partner?!"
"Ha Ha. Sehr witzig."

Die beiden Brüder machten noch einen kleinen Gang über den Hof, als sie an Ireen's Auto vorbeikamen.

"Was ist denn das?"
"Das ist Ireen's Wagen. Oder besser das, was davon über ist."
"Das sieht ja übel aus. Was ist passiert?"
"Sie ist frontal gegen einen Baum gekracht. Gottseidank ist ihr dabei nichts passiert."

John-Boy schaute Ben an, dann wanderte sein Blick zur Veranda, doch Ireen war nicht mehr da.

"Läuft da was zwischen Euch Beiden?"
"Was?"
"Also so kuschelig wie Ihr eben auf der Bank gesessen habt, könnte man denken, dass..."
"John-Boy!" entfuhr es Ben.
"Entschuldige, aber da ist doch nichts bei. Sie scheint ja sehr nett zu sein."
"Ist sie. Aber es geht Dich trotzdem nichts an!"

"Also hatte ich Recht." sagte John-Boy und grinste.
"Vielleicht." sagte Ben, dem das Gespräch sichtlich unangenehm war.

"Ben! Ich finde das wirklich gut. Es wird Zeit, dass Du Dich mal wieder für Frauen interessierst! Auch wenn es Dir schwer fällt Cindy zu vergessen, Du solltest anderen Frauen wenigstens die Chance geben, daran zu kommen..." sagte John-Boy und deutete auf Ben's Herz.

Als die Familie abends beim Essen zusammensaß beobachtete John-Boy seinen Bruder Ben und Ireen etwas genauer, wie sie heimliche Blicke austauschten, und sich anlächelten, ohne dabei aufzufallen.

Eigentlich hätte er sich freuen müssen, doch irgendwie konnte er es nicht. Natürlich freute er sich, dass sein Bruder eine Freundin zu haben schien, andererseits wusste er aber auch, dass Ben ein schwieriger Mensch sein konnte. Und so waren seine Gefühle sehr gemischt.

Später war John-Boy von seine Geschwistern umringt. Jeder wollte wissen, was er in der letzten Zeit so gemacht hatte. Wie das Leben in der großen Stadt so war, und John-Boy erzählte ausführlich.

Diesmal war Ireen nicht geflüchtet, zu einem, um in Ben's Nähe zu sein, zum anderen, da die Familie sie dabei haben wollte, um auch ihr Fragen zu stellen, denn schließlich kam sie ebenfalls aus NewYork.

Der Abend wurde lang, doch als die Nacht hereinbrach, beendet man das Beisammensein vorerst.

* * * *

"Ben?"
Als Ireen erwachte, lag sie allein in ihrem Bett.

Sie sah sich um, konnte ihn aber nirgends entdecken.
Schließlich stand sie auf, und zog sich an.

Sie öffnete ein Fenster, und nahm einen tiefen Atemzug frischer Morgenluft. Als sie sich umdrehte, bemerkte sie, dass die Tür zu Ben's Zimmer offen stand. Und so trat Ireen ein, und sah sich um.

Es war ein normales Schlafzimmer. Ein Bett, ein Nachttisch, ein Kleiderschrank. Aber dennoch unterschied sich das Zimmer von anderen.
Auf dem Nachttisch, auf der Fensterbank. Überall standen Fotos.
Ireen ging näher heran und betrachtete sie. Gerade als sie eines in die Hand genommen hatte, kam Ben herein.

"Was tust Du hier?"
"Ich habe Dich gesucht."
Ben trat einen Schritt auf Ireen zu, und machte dabei keinen freundlichen Gesichtsausdruck.

"Das ist Cindy, nicht wahr?"
Ben nickte.
"Erzähl mir von ihr."
"Ich wüsste nicht, was sie Dich angeht!" sagte Ben ernst, "Und jetzt geh! Du hast hier drinnen nichts zu suchen!"
"Aber Ben..."
"Ich hab gesagt, Du sollst gehen!"

Ireen schaute Ben überrascht an, der mit versteinerter Miene da stand. Schließlich verließ sie das Zimmer, das Haus und ging zum anderen herüber, wo sich die Anderen bereits zum Frühstück versammelt hatten.

"Guten Morgen, Ireen."
"Guten Morgen."
"Wo ist Ben?"
"Drüben."

"Was ist denn los?"
"Nichts. Was soll denn los sein?"
"Ich kenne Dich zwar erst seit ein paar Tagen, aber in diesen Tagen warst Du immer gut gelaunt...heute nicht. Und das muss doch einen Grund haben?"
"Darf man nicht mal einen schlechten Tag haben?"
"Natürlich darf man..."
"Na also." sagte Ireen, wand sich von MaryEllen ab, und dem Frühstück zu.

Schließlich betrat Ben die Küche.
"Da bist Du ja endlich. Wir dachten schon, Du kommst nicht."
"Werd ich auch nicht. Ich hab noch zu tun, und möchte nur einen Kaffee!" sagte Ben, trank eine Tasse, und verschwand.
"Aber Ben..."

"Also wirklich." sagte Olivia, "Das hat er noch nie gemacht." sagte sie, und schaute zu Ireen.
"Was ist?"
"Gibt's vielleicht doch etwas, was Du uns sagen willst?"
"Nein." sagte Ireen, und stand auf.

Eigentlich wollte sie gehen, doch dann drehte sie sich um, ging zurück zum Tisch, schmierte zwei Brote, legte diese auf einen Teller, und ging in Richtung Tür.

"Was soll denn das werden?"
"Raubtierfütterung" sagte Ireen, und verschwand nach draußen.

Langsamen Schrittes ging sie zur Sägemühle hinüber, bis sie schließlich vor Ben stand.

"Was willst Du?"
"Zum einen bring ich Dir Frühstück..." begann Ireen, wurde aber von Ben unterbrochen, "Ich hab keinen Hunger."

"Wieso bist Du so sauer auf mich?"

Ben antwortete nicht, und widmete sich wieder demonstrativ seiner Arbeit.

"Wie soll ich mich entschuldigen, wenn ich nicht weiß wofür?" brüllte Ireen gegen den Lärm der Maschinen an.

Ben stellte die Maschine ab.

"Du hattest in meinem Zimmer nichts zu suchen!"
"Darum geht es? Dass ich in Deinem Zimmer war?"
"Ich hatte es Dir strikt untersagt!"
"Du tust ja gerade so als wäre ich da eingebrochen! Vergisst dabei aber, dass die Tür offen war!"
"Darum geht es doch gar nicht."
"Um was denn dann?"
"Das verstehst Du nicht!"

"Wie auch, wenn Du nicht mit mir darüber sprichst?" sagte Ireen, drehte sich um, und ging.
Was Ben nicht sehen konnte, waren die Tränen, die über ihre Wangen liefen, während sie sich immer schnelleren Schrittes von ihm entfernte.

Schließlich erreichte sie das Haus, ging hinein, und knallte die Tür hinter sich zu. Sie ging zum Bett, und nahm ihren Sohn in die Arme.

"Weißt Du was, Ben? Dein Namensvetter ist ein grober, gemeiner Holzklotz. Glaubst Du, ich hab mich in ihm geirrt?"
Ben schaute sie mit großen Augen an.
"Aber wie kann ich auch erwarten, dass er, nur weil er wie Du heißt, auch so süß ist, wie Du?"

Sie ließ sich auf den Sessel fallen, und kuschelte mit Ben.

In diesem Moment ging die Tür auf, und Ben trat ein.

"Du hast Recht. Es tut mir leid. Ich hätte es Dir erklären sollen, anstatt Dich so anzufahren..."

"Wenigstens siehst Du's ein." sagte Ireen, und stand auf.

"Aber ich kann einfach nicht gut über so was reden."
"So was?" fragte Ireen, die Ben jetzt direkt gegenüberstand.

"Gefühle."
"Komisch. Wieso haben scheinbar alle Männer damit ein Problem über ihre Gefühle zu sprechen?"
"Wahrscheinlich, weil wir eher dazu neigen, sie zu zeigen." sagte Ben, und drückte Ireen einen Kuss auf die Lippen.

Die war davon so überrascht, dass sie sprachlos war.

Ben dreht sich zum Kind, dass Ireen immer noch auf dem Arm hatte, "Was meinst Du, Kleiner Mann, kannst Du Deine Mutter mit mir teilen?"

"Werd ich denn gar nicht gefragt?" fragte Ireen schließlich.
"Nein." sagte Ben, und gab ihr erneut einen Kuss, den Ireen diesmal aber erwiderte. Und so standen die Beiden eine ganze Weile engumschlungen zusammen, und genossen den Moment.

Schließlich nahm Ben Ireen's Hand, und gemeinsam gingen sie in sein Schlafzimmer. Vor der mit Fotos übersäten Fensterbank blieben sie stehen.

"Sie war eine wunderschöne Frau." sagte Ireen.
Ben nickte, und nahm eines der Bilder in die Hand, "Sie war wundervoll. Und musste soviel Leid ertragen."

Ireen beobachtete Ben, wie er das Bild betrachtete. Sie hörte ihm zu, wie er redete...von Cindy...aber sie sagte kein Wort.

Auch beim Mittagessen war sie sehr schweigsam, was allen auffiel.

"Tut mir leid. Aber irgendwie fühle ich mich nicht gut."
"Vielleicht solltest Du Dich etwas hinlegen." schlug Olivia vor, "Ruhe tut einem immer noch am besten."
"Ich glaube, Du hast Recht." sagte Ireen, "Dann verabschiede ich mich erst mal." Mit diesen Worten verließ Ireen das Haus.

Zwei Stunden später wollte Ben nach ihr sehen.

"Geht's Dir besser?" rief er, während er das Haus betrat.
Doch dann erstarrte er. Nicht nur, dass Ireen nicht da war. Es hatte den Anschein, als wäre sie nie da gewesen.

Die Decken waren ordentlich auf dem Sofa zusammengelegt. Oben drauf lag ein Blatt Papier.

"Lieber Ben, Niemand wird Dir Deine Familie ersetzen können. Und Du wirst tagtäglich von Erinnerungen an sie umgeben sein. Ich kann Dich dafür nicht verurteilen, denn es ist ganz normal...aber ich weiß nicht, ob ich damit leben kann. Ich habe die letzten Tage mit Dir wirklich genossen. Ich mag Dich sehr. Aber eine gemeinsame Zukunft wird es wohl nicht geben können. Leb Wohl, Ben. Ich werde Dich nie vergessen. Ireen."

Immer wieder las Ben den Brief. Dann trat er ans Fenster.

Sein Blick auf die Fotos. Plötzlich holte er aus, und wischte sie mit seinem Arm von der Fensterbank. Klirrend landeten sie auf dem Boden.

Ben starrte aus dem Fenster, beobachtete wie der Schneefall immer mehr und immer dichter wurde. Plötzlich zuckte er zusammen, "Oh mein Gott!"

Er rannte aus dem Zimmer, aus dem Haus, über den Hof, bis er schließlich das andere Haus erreicht hatte, und auf John-Boy zustürzte.

"Sie ist weg!"
"Was? Wer?"
Ben hielt seinem Bruder den Brief unter die Nase.
"Und ich bin Schuld..."

"Wer ist weg?" fragten Jason, Toni und Erin wie aus einem Munde.
"Ireen" sagte John-Boy.
"Was?"

John-Boy nickte.

"Wie lange ist sie schon weg?"
"Falls Du Dich erinnerst, war sie beim Mittagessen noch da."
"Naja, bei diesem Schneefall wird sie nicht weit kommen."

"Mag sein. Aber sie hat doch nichts dabei. Weder eine dicke Jacke, noch warme Schuhe. Gott, sie wird erfrieren! Und der kleine Ben erst..." Ben war verzweifelt, "Ich muss sie suchen!" sagte er, und sprang auf.

"Und wo? Du weißt doch gar nicht, in welche Richtung sie los ist..."
"Das ist mir egal! Aber ich kann hier nicht einfach rumsitzen!"
"Ben!"

"Lasst ihn!" sagte John-Boy, der erst seinem nach draußen eilenden Bruder nachschaute, und sich dann zu seinen Geschwistern gesellte.

"Was ist hier eigentlich los?" fragten Olivia und John, die das ganze Treiben im Wohnzimmer aus der Küche verfolgt hatten.

"Das, was ich immer befürchtet, und gestern noch zu verhindern versucht habe."

Fragend schauten ihn die anderen an.

"Das sich eine Frau in Ben verliebt, und er in sie, aber er so an seiner Vergangenheit klammert, dass sie sich eingeengt fühlt und..."

"Moment. Moment. Willst Du sagen, Ben und Ireen...?"

Fragender als zuvor schauten ihn die anderen an.
"Was? Wollt Ihr mir sagen, dass ich der Einzige bin, der das mitgekriegt hat?"
"Sieht so aus..."

John-Boy stand unschlüssig im Wohnzimmer.
"Es bringt doch einfach nichts, jetzt loszustürmen...bei diesem Wetter, und nach ihr zu suchen, wenn wir nicht mal wissen, wohin sie..."

"Ich weiß nicht." sagte Erin, "Ich kenne sie zwar erst seit ein paar Tagen, aber eigentlich machte sie auf mich einen ganz intelligenten Eindruck. Ich kann mir nicht vorstellen, dass sie einfach so losläuft. In die Dunkelheit." sie schüttelte den Kopf.

"Du darfst nicht vergessen, dass sie verzweifelt gewesen sein muss."
Trotzdem. Ich glaube das nicht. Schon gar nicht, wo sie sich hier doch gar nicht auskennt."

"Und?"
"Was glaubst Du, wo sie ist?"
"Ich weiß es nicht." sagte Erin, ging zur Tür und öffnete sie.

"Sieh es Dir an! Würdest Du in dieses Unwetter hineinlaufen? Verzweiflung hin oder her. Ich bitte Dich..."
"Ich glaube, Erin hat Recht." sagte Toni, "Das wäre doch glatter Selbstmord!" doch kaum hatte sie diese Worte ausgesprochen, musste sie schlucken. Erschrocken schaute sie erst Jason und Erin, dann John-Boy an, "Sie wird doch nicht!"

"Ich hoffe nicht. Das würde Ben nicht überleben!" sagte John-Boy, und schaute dabei zu seiner Mutter, die genau wusste, was er meinte, denn sie war da gewesen, als Ben seine geliebte Frau verloren hatte.

"Boah, ist das ein Scheißwetter!" sagte Jim-Bob als er hereinkam, und dabei war, sich die Jacke auszuziehen.

"Behalt Sie an!" sagte John-Boy.
"Was? Wieso?"
"Ireen ist verschwunden..."
"Was?"
"Sie ist abgehauen."
"Hä?"

"Das erkläre ich Dir später." sagte John-Boy, "Auf jeden Fall müssen wir sie finden!"
"Und wo?"
"Keine Ahnung. Ben ist schon los. Wohin auch immer."

"Und was machen wir jetzt?"
"Gute Frage. Wenn es nach Erin geht, bräuchten wir gar nicht los. Die glaubt nämlich, dass sie noch hier ist."
"Wie jetzt?"

Erin verdrehte genervt die Augen, "Vergiss es!"

"Wie auch immer. Ben ist in diese Richtung." sagte John-Boy, und deutete nach links, "Vielleicht sollten wir dann einfach in die andere Richtung?"
"Ok." sagte Jim-Bob, obwohl er immer noch genau wusste, worum es eigentlich ging.

"Ich werde mich hier ein wenig umsehen." sagte Erin, "Toni?"
"Bin dabei."

"Ein Versuch ist es wert!" sagte John-Boy, und mummelte sich dick ein.

"Wir bleiben hier. Für den Fall, dass sie zurückkommt." sagte Olivia.
Daraufhin blieben die anderen stehen, und drehten sich um, "Glaubst Du das?"

"Man kann es nie wissen."

Die kleine Gruppe schüttelte ihre Köpfe, und wollte gerade das Haus verlassen, als Elizabeth und Drew das Wohnzimmer betraten, "Wo wollt Ihr denn hin?"

In wenigen Worten erzählten die Anderen, was vorgefallen war, und was sie jetzt tun wollten.

"Es tut mir leid, John-Boy, aber ich glaube Erin hat Recht. Wenn ich ein Problem hatte, wollte ich zwar auch immer weit weg, bin es aber nie!" sagte Elizabeth.
"Du bist ja hier auch Zuhause."
"Das hat doch damit nichts zu tun."
"Ich denke doch. Du kennst Orte, an die Du Dich zurückziehen kannst, die hier in der Nähe sind. Sie nicht."

"Ich will mich ja nicht einmischen." sagte Drew plötzlich, "Aber wenn Ihr noch loswollt, dann solltet Ihr Euch beeilen! Nicht nur der Schnee wird immer dichter, auch der Nebel!"

Die Geschwister eilten zu den Fenstern, "Oh verdammt."
"Das können wir wohl vergessen!"
"Sieht so aus."

Doch plötzlich stutze John-Boy, "Ich denke im Winter sollen die Kinder nicht aufs Baumhaus?"

"Sollen sie ja auch nicht. Viel zu rutschig!"
"Wieso steht dann die Leiter da?"
"Diese Rasselbande." sagte Jason, "Die können was erleben..."

"Bevor Du Deine Kinder jetzt zu Unrecht bestrafst, lass uns mal eben gucken, ob..."
"Was?" fragte Jason, und obwohl er nicht wusste, was John-Boy vorhatte, folgte er seinem Bruder nach draußen.

"Was hast Du denn vor?"
"Ich glaube nicht, dass das Deine Kinder waren!"
"Nicht? Wer denn dann?"
John-Boy schaute seinen Bruder eindringlich an.
"Du glaubst, Ireen..."

"Wenn ich unseren Schwestern glauben soll..." sagte er, und stieg vorsichtig die einzelnen Sprossen nach oben.

Zusammengekauert in einer Ecke, in eine Decke eingehüllt fand er eine schlafende Ireen.

Vorsichtig tippte er sie an, "Ireen? Kannst Du mich hören?"
Ireen räkelte sich, dann öffnete sie die Augen. Erschrocken fuhr sie zusammen, "John-Boy?"

"Was machst Du denn hier oben?"
"Ich...Ich muss eingeschlafen sein."
"Das meine ich nicht."

"Hat Ben meinen Brief nicht gelesen?"
"Doch hat er. Und ist jetzt irgendwo da draußen um Doch zu suchen!"
"Was?"
John-Boy nickte, "Er hat Dich wirklich gern."
"Aber..."
"Nix aber. Du kommst jetzt erst mal wieder mit ins Haus, oder willst Du hier oben erfrieren?"
"Eigentlich nicht."
"Siehst Du."

John-Boy nahm die Decke beiseite, und ein friedlich schlummernder Ben kam zum Vorschein.

"Nimmst Du ihn mal? Sonst komm ich nicht hoch."
"Aber sicher." sagte John-Boy, nahm Ben vorsichtig hoch, und ging zur Tür. Ein, zwei Sprossen nach unten, dann gab er Ben an Jason weiter, der ihn sofort ins Haus brachte, wo er von den anderen erst mal wieder warm verpackt wurde.

Dann stiegen auch John-Boy und Ireen die Leiter herab.
"Ich glaube, jetzt muss ich einiges erklären, was?"
"Nicht wirklich." sagte John-Boy, "Sie wissen das von Dir und Ben."

Fragend schaute Ireen John-Boy an, doch der legte nur seinen Arm um sie.

Im Haus wurde Ireen ebenfalls erst mal in eine Decke eingewickelt und mit Kaffee versorgt, damit sie sich aufwärmen konnte. Und niemand stellte ihr irgendeine Frage.

"Ich weiß nicht mal wieso, aber ich wollte einfach nur weg. Doch gerade als ich loswollte, kam dieser Schneesturm auf. Also hab ich mich erst mal versteckt, und dann muss ich eingeschlafen sein..."

"Du musst Dich nicht erklären!"
"Ich möchte aber. Sonst denkt Ihr noch sonst was von mir."

"Und was ist jetzt mit Dir und Ben?"

Gerade als Ireen darauf antworten wollte, ging die Tür auf.
"Ben!" Alle drehten sich zu ihm um, wie er verschneit und durchnässt hereinkam.

Er hatte gerade seine Jacke abgelegt, als sein Blick auf Ireen fiel, die eingemummelt auf dem Sofa saß, und ihn anstarrte.

Ben wollte gerade auf sie zugehen, als ihn sein Vater in die Küche rief.

Ein wenig verwirrt, und mit einem nochmaligen Blick auf Ireen, ging er hinüber.

"Was ist denn?"
"Deine Mutter möchte mit Dir reden!"

Ben drehte sich zu seiner Mutter um.

"Ben Walton!" Olivia's Tonfall klang nicht gerade freundlich.
"Was?"

"Liebst Du diese Frau?"
"Ich denke schon."
"Dann verrat mir bitte, warum sie weggelaufen ist? Was hast Du getan?"
"Hast Du denn ihren Brief nicht gelesen?"
"Nein. Und außerdem möchte ich es nicht von ihr hören, sondern von Dir!"

"Mama! Ich bin doch kein kleines Kind mehr!"
"Eben. Deswegen kommst Du ja auch nicht mehr zu mir, wenn Du Probleme hast. Wir reden einfach nicht mehr miteinander!"

Ben schaute seine Mutter an, dann fiel er ihr in die Arme. Er erzählte ihr alles, was er bisher nicht gesagt hatte, ließ seinen Gefühlen freien Lauf. Olivia hörte zu, wie sie es immer getan hatte...

"Und ich mag sie wirklich sehr, aber ich kann Cindy nicht einfach vergessen!"

"Jetzt hör mir mal zu, Ben. Niemand verlangt das von Dir. Und ich kann mir auch nicht vorstellen, dass Ireen das verlangen würde. Und so sehr Du Cindy auch geliebt hast, und ich weiß, dass Du das hast, sie sollte in den Hintergrund rücken, und die Frau, die Du jetzt liebst, an die erste Stelle. - Ich weiß, dass das schwer für Dich ist, aber Du hast keine andere Möglichkeit, denn sonst wirst Du nie wieder jemanden an Deiner Seite haben. Und ich kann mir nicht vorstellen, dass Du den Rest Deines Lebens allein verbringen möchtest?"

Ben schüttelte den Kopf.

"Und eines ist noch ganz wichtig! Reden! Was immer Dir durch den Kopf geht. Was immer Du denkst oder fühlst, sprich darüber!"

Ben gab seiner Mutter einen Kuss. Dann ging er zurück ins Wohnzimmer.

Alle schauten ihn erwartungsvoll an.

"Kommt. Wir sollten sie einen Augenblick allein lassen!" sagte Olivia, und fühlte sich bei dem aufkommenden Gejammer und Gemecker ihrer Kinder in die Vergangenheit zurückversetzt.

"Wie geht's Dir?" fragte Ben, und setzte sich neben Ireen.
"Geht. Danke."

Beide schauten sich an.
"Es tut mir leid, dass..." begannen beide zeitgleich, und konnten sich ein Lächeln nicht verkneifen.

"Du zuerst."
"Ich hab einfach nicht darüber nachgedacht, wie Du Dich gefühlt haben musst...es tut mir leid!"
"Ich hätte nicht einfach weglaufen sollen. Aber ich wusste einfach nicht weiter."
"Ich hab wohl echt Mist gebaut?"
"Naja, wir hätten vielleicht einfach reden sollen?"

Ben nickte, "Und jetzt?"
"Was meinst Du?"
"Glaubst Du, dass mit uns könnte was werden?"
"Ich weiß nicht." sagte Ireen, und schaute Ben an. Sein Blick spiegelte Unsicherheit und Ehrlichkeit wieder, "Aber ich glaube, ich würde es gerne versuchen!"

"Ja?"
"Ja." sagte Ireen, und fiel Ben in die Arme.

Dieser nahm zärtlich Ireen's Kopf in seine Hände, und küsste sie.

In diesem Moment betrat der Rest der Familie wieder den Raum, und füllte es mit einem Awwww.

Ben und Ireen drehten sich um, und sahen in die freundlich lächelnden Gesichter, und John nickte seinem Sohn aufmunternd zu.

In diesem Moment ging die Tür auf, "Was für ein Tag! Ich hoffe, dass waren die letzten weihnachtlichen Notfälle. Ich habe keine Lust morgen auch noch zu arbeiten!" sagte MaryEllen, und ließ sich in den Sessel fallen.

Erst jetzt bemerkte sie das seltsame Bild von zwei Leuten auf der einen, und einen ganzen Haufen auf der anderen Seite.

"Was ist denn hier los?"

"Gar nichts." sagte irgendjemand, dann hörte MaryEllen nur noch Gekicher, und sah wie sich die Familie in alle Richtungen verteilte.

"Kommt schon Leute."

Ben drehte sich zu seiner Schwester, die fragend in alle Richtungen schaute.

"Ich habe mich verliebt." sprudelte es aus ihm heraus.
"Was? In wen?"

"Dreimal darfst Du raten." sagte Ben, und ließ sich demonstrativ zurück aufs Sofa fallen.

"Was denn? Ihr beide?"

Ireen nickte, und lächelte glücklich.

* * * *

Als sie am nächsten Morgen erwachte, lächelte sie noch immer, zumindest innerlich. Sie war glücklich. So glücklich wie schon lange nicht mehr.

Ben schlief noch.
Leise stand sie auf, und ging zu ihrem Sohn hinüber, der sie anlächelte.

"Na Du. Bist ja auch schon wach. Und strahlst." Ireen nahm in auf den Arm, "Ich hab Dich lieb, weißt Du das?"

Dann ging sie zurück, und zog sich an. Vergnügt pfiff sie dabei ein Weihnachtslied.

"Guten Morgen." murmelte Ben.
"Entschuldige, ich wollte Dich nicht wecken!" sagte Ireen, ging zum Bett, und gab ihm einen Kuss. "Guten Morgen."

"Du hast ja gute Laune?"
"Hab ja auch allen Grund dazu, oder?"
Fragend schaute Ben sie an.

"Es ist Weihnachten, und ich habe zwei wundervolle Männer an meiner Seite. Was kann es denn schöneres geben?" antwortete Ireen, und war schon so gut wie aus dem Zimmer raus.

"Wo willst Du denn hin?"
"Ich habe Deiner Mutter versprochen, Ihr zu helfen. Irgendwas muss ich ja tun, wenn ich mich schon bei Euch einniste!" sagte Ireen, und war weg.

Ben stöhne, und ließ sich zurück ins Bett fallen. Eigentlich wollte er noch weiterschlafen, aber als der den anderen Ben im Nebenzimmer hörte, stand er auf, und ging hinüber.

"Hat sie uns einfach alleine gelassen!" sagte Ben, und nahm den Kleinen auf den Arm, "Finden wir das gut? Nein finden wir nicht! - Und deshalb gehen wir jetzt auch!"

Ben zog sich an, dann machten sich beide auf den Weg nach nebenan.

Die letzten Vorbereitungen wurden getroffen, aus der Küche roch es nach gutem Essen, im Wohnzimmer angenehm nach Tanne. Alle waren in Feststagsstimmung.

Und schließlich war der Abend gekommen.

Der Weihnachtsbaum strahlte in seinem schönsten Glanz, und wurde nur noch von den glänzenden Kinderaugen übertroffen.

Zuerst wurde ein Lied nach dem anderen gesungen, dann umarmte man sich gegenseitig. Und schließlich wurden die Geschenke verteilt.

"Das ist für Dich...von uns allen." sagte Olivia, und überreichte Ireen ein Päckchen.

"Aber das geht doch nicht." erwiderte diese, "Ich hab doch gar nichts für Euch."

"Du beschenkst uns mit Deiner Anwesenheit!"

Für einen Moment war Ireen irritiert, dann öffnete sie das Päckchen, und zum Vorschein kam ein silberner Bilderrahmen mit bunten Steinen.

"Wir dachten, da Ihr Euch wegen Fotos verkracht hattet, und jetzt doch wieder zusammengekommen seid, nimmst Du diesen Rahmen als Zeichen des Neubeginns für ein ganz besonderes Foto?!"

"Danke. Das ist lieb von Euch." sagte Ireen, "Vielleicht nehm ich ein Foto von Ben?!"

"Oder von Ben?"

Alle mussten lachen.

Ireen nahm den einen Ben auf den Arm, und ließ sich von dem anderen Ben in den Arm nehmen. Dieser gab ihr erst einen Kuss, dann streichelte er dem Kleinen über den Kopf.

Der Kleine schaute ihn an, und lächelte, "Daddy."

* THE END *

Danke ~IRIS~ für die Veröffentlichung auf meiner Seite. 4. Februar 2005