Das Leben von Earl Hamner
übersetzt aus dem Buch "Goodnight John-Boy"

Kapitel 1: Die Familie 2. Teil

Mit dem Herbst verschwand der sommerliche Dunst und ging über in klare Luft. An einem Sonntag stapelten wir uns in dem DeSoto (Auto von Chrysler, Anm. der Redaktion) meines Vaters und fuhren zu dem vor Kurzem eröffneten Skyline Drive. Unterwegs hielten wir oft an, um die Schönheit des Herbstes und die Schattierungen und Nuancen der Farben des Herbstlaubs zu betrachten. Wieder zu Hause sammelten wir Kastanien und Walnüsse. Und wenn der erste Frost den Wein zerstörte, sammelten wir schnell die letzten grünen Tomaten und die folgenden Wochen erfüllte ein stechender Geruch die Küche von eingekochten grünen Tomaten.

Schließlich kam der lange stille Winter über uns. Das erste Zeichen des Winters war ein Katalog eines Versandhauses. Wir nannten es "Wunsch-Buch". Wir versammelten uns alle um den langen Küchentisch und schmökerten in unserem Wunsch-Buch, sahen jede einzelne Seite genau an und träumten unsere Weihnachtsträume.

Charlottesville war 26 Meilen entfernt und ein Spaziergang durch die Hauptstraße während der Weihnachtszeit war für uns genauso aufregend wie eine Reise nach Bagdad. Im Gegensatz zu den schlammigen Landstraßen, die wir kannten, waren die Straßen in der Stadt geteert und gesäumt von Ampeln, Autos und großen Schaufenstern. Wir waren fremd in dieser Welt und zeigten es durch unsere alte verschlissene ländliche Kleidung. Wir hatten nicht viel Geld aber wir kauften im Geiste vor den großen Schaufenstern ein, während draußen eine Armeekapelle Weihnachtslieder spielt.

Unseren Weihnachtsbaum hatten wir uns schon im Juli besorgt. Wir fanden ihn, während meine Geschwister und ich Blaubeeren pflückten am Witts-Hügel. Es war eine 6 Fuß hohe Zeder, übersät mit Tannenzapfen und dem stechenden Geruch einer immergrüne Pflanze. Eine Woche vor Weihnachten brachten wir sie nach Hause und stellten sie in die Ecke des Wohnzimmers. Es war, als hätten wir im Wald etwas Wildes gefangen und gezähmt. Wir hängten Lichter daran und schmückten die Zeder und ihr Aussehen veränderte für kurze Zeit unser Haus.

Oft brachte Santa Claus nur Orangen, aber ebenso oft waren Geschenke unter dem Baum für jeden von uns. Manchmal waren es gestrickte Handschuhe oder Schals oder andere Dinge, gelegentlich auch eine Packung von Sternsprühern oder Chinakrachern mit chinesischer Schrift auf der Packung.

Das gesamte Schuljahr hindurch sorgte meine Mutter dafür, dass wir, versammelt um den langen Küchentisch, sorgfältig unsere Hausaufgaben machten. Danach gingen wir nach und nach ins Bett, betrachteten noch den fallenden Schnee und sagten uns gegenseitig gute Nacht und schliefen ein, in der Gewissheit, beschützt und geborgen zu sein. Wir lebten alle in dem Glauben, das Beste und Schönste zu haben.

Als ich nach New York City umzog, bemerkte ich erst, dass wir unter größten Entbehrungen gelebt haben. Ich bemerkte erst jetzt, dass wir in einem "Notstandsgebiet" gelebt hatten und dass wir von einer Krankheit heimgesucht wurden, die Familismus hieß. Familismus bezeichnen Soziologen als eine soziale Organisation, in welcher die Familie als wichtiger angesehen wird als andere soziale Gruppen oder das Individuum.

Wir wussten nicht, dass wir unter Familismus litten, wir dachten immer, wir lieben uns einfach gegenseitig. Noch heute, wo es diesen hoch wissenschaftlichen Namen Familismus gibt, nenne ich es einfach Liebe. Wir demonstrierten diese Liebe durch Küsse und Um-armungen und immer, wenn wir etwas getrunken hatten, endeten wir vor dem Klavier, alte baptistische Lieder singend und jeden umarmend.

Das war die Familie, die meine Bücher lenkte und im Film "Spencers Mountain" und der Serie "Die Waltons" landete. Begonnen hat alles 1972, die Serie wurde Donnerstagabend ausgestrahlt von CBS und erreichte in den Vereinigten Staaten 50 Millionen Zuschauer. Sie wurde ebenso in Kanada, Japan, Australien, Fiji, Irland und Deutschland, um nur einige Länder zu erwähnen, in denen die Serie beliebt war, ausgestrahlt. Nur in einer Woche bekamen wir Lob von vielen christlichen und jüdischen Gruppierungen wie z. B. der Nationalen Baptistischen Kirche. An einem Sonntag übertraf alles meinen kühnsten Erwartungen. In einer Zeitschrift, die die Stimme der nationalen katholischen Presse ist, war ein Bild des Papstes abgebildet und daneben ein Bild der Waltons-Familie. Ich fürchtete, wir waren zu weit gegangen.

Im Zuge dessen erhielten wir eine Menge Preise, der beste Preis aber war der im journalistischen Bereich, der begehrte "Peabody Award" der Universität Georgia. Die Serie lief in 9 Staffeln bei CBS, verschiedene zwei-Stunden Filme gab es zusätzlich und heute, 30 Jahre nachdem sie das erste Mal gesendet wurden, ist die Waltons-Familie genauso beliebt und geliebt.

Übersetztung: Mary Ellen - Mit freundlicher Genehmigung von Earl Hamner - 9. September 2010