Briefe aus Waltons Mountain - Teil 2
Ihr habt Euch Sorgen um mich gemacht? Ich mir auch, das kann ich Euch versichern! Die beiden alten Ladys hatten mich ja sehr freundlich in ihr schönes altes Haus aufgenommen. Ich fühlte mich sehr unwohl und nahm beim Betreten des Hauses nur den offenen Kamin wahr und wertvolle alte Möbel. Wegen meiner aufkommenden Erkältung verfrachteten die beiden Damen mich gleich in ein wunderbar gemütlich wirkendes Bett und verabreichten mir eine Medizin, die sie „das Rezept“ nannten.

Danach konnte ich zwar wunderbar schlafen, aber an die folgenden Wochen meiner schweren Krankheit möchte ich mich eigentlich nicht mehr so gerne erinnern. Obwohl: Selbst in dieser Zeit gab es schöne Momente, Augenblicke, die meine Zukunft beeinflussen sollten.

Ich bekam hohes Fieber und einen sehr schmerzhaften Husten und mochte nichts mehr zu mir nehmen. Selbst das Trinken fiel mir unsagbar schwer und ich kam gar nicht mehr recht zu mir.

Die Baldwin-Damen schickten nach einem Arzt, der mich untersuchte und nicht nur eine schwere Influenza, also eine echte Grippe, sondern auch noch eine Lungenentzündung diagnostizierte. Ich hörte seine Stimme nur wie durch einen dicken Wattenebel und das kalte runde Instrument, das er mir zum Abhören der Lunge auf den Rücken drückte, löste mir immer wieder furchtbare Schüttelfrost-Anfälle aus.

Die beiden Damen erzählten mir später immer, dass sie mir die Schlafanzüge ihres Papas angezogen hätten. Mit der Pflege von Influenza-Kranken hätten sie nämlich ihre Erfahrung, sagten sie weiter, denn ihres Papa hätten sie sich vor Jahrzehnten ebenfalls wegen dieser Erkrankung angenommen.

Der Arzt jedenfalls wollte mich nach Charlottesville ins Krankenhaus einliefern lassen. Aber Ihr wisst, wie sehr ich Krankenhäuser hasse – vor allem, wenn ich selber darin liege. Ich nahm alle meine Kraft zusammen und versuchte, dies den beiden alten Damen zu erklären. Aber das fiel mir unendlich schwer: mein trockener Mund, der deutsche Akzent und diese furchtbare Müdigkeit.

Bevor mir die Augen wieder zufielen, vernahm ich noch von weither, wie die Damen sich anschauten und gleichzeitig einen Namen ausriefen und dabei in ihrer liebevollen Art auflachten: Mary-Ellen.

Wie lange ich danach wieder geschlafen habe, weiß ich nicht mehr. Geweckt wurde ich durch das Gefühl köstlicher Kühle auf meiner Stirn, das bis in meinen Fiebertraum wie ein freundlich winkender Sonnenstrahl wirkte. Neben mir schien ein Gebirgsbach in der Sonne zu plätschertn, der mich regelrecht euphorisch stimmte.

Aber als ich mühsam die Augen öffnete, fand ich mich nach wie vor im Bett der Baldwins, neben dem ein Eimer mit Wasser stand, in den eine junge Frau ständig irgendwelche weißen Tücher tauchte, diese auswrang und mir dann quer über die Stirn legte. Ein Anflug von Lächeln huschte über ihr ernstes, von dunklem Haar umrahmtes Gesicht, als sich meine Lider langsam hoben. Der schöne Traum war einer Unterhaltung der Frauen gewichen, die allerdings nur bruchstückhaft an mein Ohr drang.

Von „Ansteckungsgefahr“ war die Rede, „besserer Pflege“ und vom „mit nach Hause nehmen“. Als ich dann das nächste Mal erwachte, vernahm ich zuerst das gleichmäßige Brummen eines Auto-Motors und fühlte dann, wie ich auf einer Trage in ein Holzhäuschen getragen wurde, in dem es nach Holz, Bohnerwachs und irgendwelchen Chemikalien roch.

Das Bett dort war zwar weniger komfortabel, als das bei den freundlichen Damen, aber sauber und nicht so weich. Trotz meiner Benommenheit spürte ich, dass meine Ankunft großes Aufsehen erregte. Ich meinte, dass viele junge Leute dabei waren.

Dazwischen redete immer diese jungen Frau beruhigend auf mich ein. Inzwischen hatte sie auch kalte Wickel um meine Waden gelegt, um das Fieber zu senken, wie ich später erfuhr. Und obwohl ich mich hilflos und fremd fühlte, stieg in mir ein Gefühl der Geborgenheit auf. Etwa so, wie wenn man am Weihnachtsabend ein fremdes Haus betritt.

Ich sei nicht in einem Krankenhaus, überzeugte die junge Frau mich sehr geduldig und erklärte mir, Krankenschwester zu sein. Ihre Familie und sie hätten mich bis sich aufgenommen, um mich wieder auf die Beine zu stellen. Bei wem ich denn sei, wollte ich trotz meiner Kraftlosigkeit wissen und bemühte mich krampfhaft, bis zur Antwort wach zu bleiben. „Willkommen“, sagte die junge Frau und tupfte mit einem kühlen Tuch die Schweißperlen von der Stirn. „Willkommen im Schuppen unseres ältesten Bruders, der gerade in New York ein Buch schreibt. Willkommen bei den Waltons.“

Ulrich Jaschek, 1. Januar 2005